Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
Wirtschaftsbeziehungen nicht gefährden will!«
Klara bekam kaum noch Luft in dem stickigen Abteil. Sie stand auf und ging zur Toilette. Später rauchte sie noch eine Zigarette im Gang. Als sie zurück zum Abteil kam, schnarchten sie einträchtig, der Tabakwarenproduzent und der dickliche SA-Mann in seiner braunen Kluft, die ihn wie eine riesige Zigarre aussehen ließ. Die anderen Reisenden, dieoffenbar zusammengehörten, hatten ihr Frühstück herausgeholt. Der schwefelige Gestank von hart gekochten Eiern hing in der Luft. Klara blieb im Gang stehen.
Schließlich nahm sie ihren Koffer und wechselte den Wagen. Im Durchgang zwischen den Waggons wirbelten Schneeflocken. Bevor sie sich einen neuen Platz suchte, zog sie sich im Waschraum um. Am Fenster vor ihrem neuen Abteil schob sie die Hände in die Hosentaschen, die Manoli im Mundwinkel, die Schiebermütze auf dem Lockenkopf.
Was weißt du schon vom Generalstreik, Ulster, dachte sie abfällig. Den muss doch Stalin nicht befehlen. Da reicht dem Proleten ein knurrender Magen. Und den wird er auch weiterhin haben. Denn was die angeblich grandiosen Pläne deiner Nazis betrifft: Vielleicht werden sie die Produktion der Schuhsohlenfabriken ankurbeln, weil sie so schön marschieren können. Das war’s dann aber auch.
Trotzdem versetzte es ihr einen Stich, als ihr auf der Hutablage im Abteil ein Exemplar des Börsen-Courier in die Hände fiel, in dem von einer »Reichstagsbrandverordnung« die Rede war, von einer »beispiellosen Verhaftungswelle und Hetzjagd gegen Kommunisten und Sozialdemokraten« und von der »Einrichtung von Lagern, in denen die Gegner der sogenannten nationalen Revolution konzentriert werden«.
Und dann tauchten im eiskalten morgendlichen Nebel des 1. März 1933 die vagen Umrisse der Randbezirke der Reichshauptstadt auf.
Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen. Vom Fernbahnsteig in die Empfangshalle, raus auf den Vorplatz, ein Zeitungsstand kam wie gerufen. So gut wie alle Berliner Zeitungen und die wichtigsten von außerhalb waren da, aber die Rote Fahne fehlte natürlich. Verboten. Berlin am Morgen , Die Welt am Abend waren auch nicht zu finden, sogar das Echo lag nicht aus. Beigenauerem Hinschauen konnte man das Nazi-Parteiabzeichen unter dem Schal am Mantelrevers des Verkäufers entdecken. Tageblatt und Vossische waren aber da. Sie nahm sich die Exemplare der bürgerlichen Zeitungen, von denen sie glaubte, dass sie umfassend berichteten, und ein paar rechte Blätter, weil man nie weiß, ob der Feind nicht ein paar wichtige Einzelheiten mehr weiß.
»Sind Se sicher, das Se det alles schaffen, Fräulein?«, fragte der Zeitungsverkäufer, ein kleiner Mann mit Schnauzer und Stumpen im Mundwinkel.
»So schwer sind die nicht.«
»Ick meen och wegen dem Kopp. So viele Worte geh’n da doch gar nich rin. Oder soll’s mehr was zum Ausstopfen sein?«
»Dann hätte ich den Völkischen Beobachter genommen«, zischte Klara. Der Stapel auf dem schmalen Bord der Zeitungsbude rutschte auseinander, die Vossische fiel zu Boden.
»Nu bringen Sie mir mal nich alles in Unordnung«, nörgelte der Verkäufer.
Klara hob die Zeitung auf. »Geben Sie mir noch zwei Packungen Manoli.«
Der Verkäufer nahm die Zigaretten aus dem Regal, legte sie vor sich hin, nahm einen Schreibblock und einen Stift, ging die Zeitungen durch und schrieb die Preise untereinander. Klara seufzte ungeduldig.
Er schob ihr den Block hin, auf der er die Endsumme vierfach unterstrichen hatte. Die Manolis hatte er nur einfach berechnet. Sie steckte die beiden Packungen ein, ohne ihn darauf hinzuweisen, zahlte, klemmte sich den Zeitungsstapel unter den Arm und ging.
Sie hatte einen Zettel mit einer Adresse in Friedrichshain bekommen. Eine Blumenverkäuferin konnte ihr den Weg erklären. Sie musste die U-Bahn nehmen. Über eine steile Fahrtreppe ging es weit nach unten.
Zunächst Richtung Hermannstraße. Die gelbe Bahn polterte in den türkisfarben gekachelten Bahnhof. Klara ließ sich vom Strom der Fahrgäste hineinziehen. Umsteigen amAlexanderplatz, kurze Blicke im Vorbeigehen auf zwei Zeitungsstände. Weder kommunistische noch sozialdemokratische Blätter waren ausgehängt.
Vom S-Bahnhof hoch zur Warschauer Straße, wo ein scharfer, kalter Wind wehte. Links rum und vorbei an der Glühlampenfabrik, dann noch ein paar Ecken weiter. Hinterhaus Rotherstraße 8, Zaschke.
Kaum hatte sie geklingelt, ging die Tür der Nebenwohnung auf und sie wurde stumm hereingewinkt. »Kufler« stand auf einem
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