Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
offenbar entgangen war, dass Klara sich als deutsche Korrespondentin einer britischen Zeitung ausgewiesen hatte.
Nach und nach gab er ihr die inspizierten Sachen zurück. Sogar die Zigaretten schüttelte er aus der Manoli-Dose und spähte hinein. Eine davon fiel zu Boden. Klara bückte sich. Das Mädchen trat auf die Zigarette, beinahe hätte sie Klaras Hand erwischt, dann zog sie den Fuß zurück. Die Zigarette war hin.
»Oh, Entschuldigung«, sagte das Mädchen.
Klara richtete sich auf. Der SA-Mann hielt jetzt den Umschlag aus dem Postamt in der Hand. Darin war die Notiz, die sie hierhergeführt hatte. Beweis genug, dass sie zu den »Verschwörern« gehörte. Der SA-Mann zog den Brief eines unbekannten Mädchens an seine nicht existierende Tante heraus. Das weckte die Neugier des Ledermantels. Der SA-Mann gab ihn weiter und behielt den Umschlag in der Hand. »Sie hat keine richtige Adresse«, sagte er.
Der Ledermantel lachte milde, als er das kindliche Bild bemerkte.
Der SA-Mann reichte ihm den Umschlag.
»Wieso postlagernd?«, fragte der Ledermantel.
»Ich bin beruflich viel unterwegs … daher …«
Er hielt den Umschlag in den Fackelschein und drehte ihn mehrmals um. »Wohnsitz in Berlin?«
»Pension Unger … beim … S-Bahnhof Warschauer Brücke.« Er schob zwei Finger in den Umschlag, um nachzusehen, ob noch was drin war.
In diesem Moment, als Klara fest damit rechnete, dass ihr Ende gekommen war – »nun schon … nun schon …«, summte es in ihrem Kopf –, kreischte der zahnlose Mann schrill auf.
Ein Uniformierter – »Glotz nicht so, du Sau!« – hatte ihn mit einem Tritt auf den Rücken geworfen und ihm die brennende Fackel ins Gesicht gedrückt.
»Na, na, na!«, rief der Ledermantel und klatschte in die Hände, als wollte er ungezogene Kinder zur Räson bringen. »Jetzt ist aber gut! Wir ziehen ab. Die Gefangenen in den Wagen!«
Die Männer mit den Fackeln trieben die Gefesselten durch die Toreinfahrt. Die Geschlagenen wurden aufgerichtet und mitgeschleift.
»Aber … das sind doch zwei Verletzte«, hörte Klara sich protestieren.
»Die werden selbstverständlich in unserem Gefängnislazarett behandelt, gnädige Frau«, erklärte der Ledermantel mit ironischem Unterton und reichte ihr die Papiere.
Klara hörte die Motoren aufheulen, dann war es still. Niemand regte sich im Haus, fast alle Fenster zum Hof waren dunkel. Neben ihr stand das BDM-Mädchen.
»Solche wie Sie gehören auch abgeholt«, zischte sie.
Klara verpasste ihr eine so kräftige Ohrfeige, dass sie taumelnd gegen eine Mülltonne prallte.
»Hilde, bist du noch da unten?«, ertönte eine Frauenstimme, als Klara keuchend durch die Einfahrt eilte.
Der grauhaarige Nachtportier im Hotel zögerte kurz, bevor er sich zum Schlüsselkasten umdrehte. Er legte Klaras Zimmerschlüssel aufs Pult, behielt aber die Hand darüber.
»Sie sind doch Ausländerin, kommen Sie aus Dänemark?« »Nein, aus London.«
»Ach, und was haben Sie in Berlin zu tun?«
»Ich bin Journalistin, ich schreibe für die Times .«
»Also sind Sie Engländerin?«
»Ja, warum fragen Sie? Ich habe doch meinen Pass gezeigt …«
Er nahm die Hand vom Schlüssel. »Man hat nach einer jungen Frau aus Dänemark gefragt. Sie soll hier abgestiegen sein. Das Gästebuch wurde kontrolliert … aber eine Dänin ist nicht verzeichnet.«
Klara griff nach ihrem Zimmerschlüssel. Er fühlte sich kalt und fremd an, als wollte er nichts mit ihr zu tun haben. »Wer ist denn ›man‹?«
»Bitte?«
»Sie haben gesagt, ›man hat gefragt‹.«
»Na, wer halt so fragt.«
»Hat man die Frau beschrieben? Vielleicht habe ich sie ja gesehen.«
»Das habe ich auch gefragt. Aber sie wussten nur: dänische Kommunistin, nicht wie sie aussieht.«
»Aha.«
Er lachte. »Na ja, Sie sind ja aus England und die Times ist bestimmt kein rotes Blatt, was?
»Stimmt.«
»So habe ich das denen auch gesagt: Wir haben nur eine Engländerin hier, und die ist seriös.«
»Danke.«
»Die sind alle ein bisschen nervös, wegen des Brandes im Reichstag. Da sollen Ausländer die Hand im Spiel gehabt haben. Aber der, den sie auf frischer Tat ertappt haben, war ja aus Holland.« Er schüttelte den Kopf, als würde ihn das alles ratlos machen. »Wussten Sie, dass Hanussen, der Hellseher, den Brand vorausgesagt hat? Der verkehrt doch mit den Nazi-Größen. Komisch, dass die seine Warnung nichternst genommen haben. Wäre das nicht interessant für Sie? Als Journalistin, meine ich.«
Ja,
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