Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
Melodien klangen glatter, dilettantisch blieb die Darbietung dennoch. Nur keine Aufregung, das ist alles bloß Spaß. Aber darf man lachen in dieser historischen Situation, Genossin? Darf ich allen Ernstes daran denken, eine Frau zu verführen, deren Geliebter im Gefängnis sitzt, nachdem er die revolutionären Arbeiter mit einem Fanal zum Aufstand rufen wollte? Das hat der Holländer nicht verdient, oder? Solidarität sieht anders aus. Aber wer kümmert sich denn sonst um sie? Und wenn er wieder rauskommt, gebe ich sie ihm zurück.
Nun trat eine Sängerin an den Bühnenrand, ein Pianist kam dazu, und sie sang »Das Lied von der Treue« und »Wenn ich mir was wünschen dürfte« mit etwas zu schriller Stimme. Die Tanzenden kamen aus dem Tritt, viele gingen zu ihren Tischen zurück. Natürlich war das ein abgekartetes Spiel, sie hatten jetzt Durst, sie sollten trinken, bestellen, bezahlen. Klara spürte die warme Hand der Ungarin in der eigenen, als sie sich den Weg zum Tisch zurück bahnten.
Da blieb Réka abrupt stehen. Klara prallte gegen sie und legte die Arme um ihre Hüften. Die Ungarin ließ es geschehen, stand aber starr da und schaute gebannt zur Tür. Dort war gerade ein Bekannter eingetreten. Genosse A, auch Otto genannt. Ach ja, sie erwartete ihn. Für Klara war es ein Moment bitterer Enttäuschung. Gerade noch hatte sie das Gefühl gehabt, dem Intrigengespinst, in dem sie verheddert war, entkommen zu sein. Réka machte sich los und wandte sich um. »Komm!« Statt zu ihm hin, ging sie in die andere Richtung.
Klara folgte ihr in den dunkelsten Winkel am Ende der Bar, genau dahin, wo man jemanden führte, den man verführen wollte, nur war es jetzt schon wieder Flucht.
Réka hatte wieder diesen abfälligen, wütenden Blick, der Klara bei ihrer ersten Begegnung so irritiert hatte.
»Warum gehst du weg, du kennst ihn doch?«, fragte sie.
»Wen denn?«, fragte Réka böse zurück.
»Den, der da an der Tür stand.«
»Wieso?«
»Weil ich ihn auch kenne.«
»Weiß ich doch.«
»Er hat mich gefragt, woher ich den Muff habe, als ich damit ankam.«
Der Muff hing jetzt über dem Stuhl an ihrem Tisch.
»Ja, ja.«
»Hast du ihn nicht hierher bestellt?«
»Warum weißt du das?«
»Du hast ihm einen Brief geschrieben. Er kam mit der Post, ich habe ihn aufgemacht, weil er mit Ludwig ausgezogen ist. Ludwig ist der große Mann.«
»Er ist ausgezogen? Dann hat er den Brief nicht bekommen?« »Nein.«
»Trotzdem ist er hier«, stellte Réka beunruhigt fest.
»Du willst nicht, dass er dich hier sieht?«
»Er soll mich in Ruhe lassen.«
»Aber du hast ihn doch hergebeten.«
»Jetzt will ich ihn nicht mehr sprechen.«
»Was habt ihr denn miteinander zu tun?«
»Er würde gern für Rinus an meiner Seite stehen. So ist das. Das gefällt mir nicht. Aber wenn man niemanden hat, muss man auch so einen als Freund nehmen.«
»Na ja, wenn man so hübsch ist wie du …«, sagte Klara und dachte gleichzeitig: Aber Otto …?
»Er klebt an mir …«, formulierte Réka ungelenk. »Und das heißt, er ist untreu für Rinus … also kein Freund mehr. Nennt man das nicht Verrat?«
Klara realisierte mit Verzögerung, was sie ihr da mitgeteilt hatte. »Otto und Rinus sind befreundet?«
»Nicht mehr, wenn ich etwas zu sagen habe.«
»Hat er sich an dich rangeschmissen?«, fragte Klara, die sich das kaum vorstellen konnte.
»Er verfolgt mich. Und wenn ich sage, tu was für Rinus, dann sagt er nichts dazu.«
Der, von dem sie sprachen, bahnte sich zielstrebig seinen Weg durch das Lokal. Verkniffenes Gesicht, noch immer die Mütze auf dem Kopf. Er schien es eilig zu haben, stürzte aufsie zu, zuckte erstaunt zurück, als er Klara bemerkte, und packte Réka grob am Arm.
»Du musst mit mir kommen!«
Sie versuchte, sich loszureißen, aber er hielt sie eisern fest. »Lass mich, ich bleibe hier bei ihr!«
Otto starrte Klara verständnislos an.
»Es ist gefährlich hier!«, schrie er Réka an.
Réka gelang es, sich freizumachen. »Sie hilft mir.« Sie stellte sich neben Klara.
»Seid ihr verrückt geworden?« Wieder streckte Otto die Hand nach ihr aus. »Waschitzki ist hinter dir her!«
»Das weiß ich doch!«
»Dann komm mit!«
»Wohin?«
Otto zögerte, sah Klara an, schien nicht zu wissen, wie er sich verhalten sollte, und sagte dann verlegen: »Zu mir … uns …« »Warum kann ich mich nicht bei ihr verstecken?« Réka deutete auf Klara.
»Sie hat doch gar keine Wohnung, verdammt«, stieß Otto hervor.
»Lass
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