Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
meinen Arm los!«, verlangte Réka.
»Du musst mitkommen!«, beharrte Otto.
Réka blickte jetzt völlig verunsichert drein.
Der hat Angst um sie, er will ihr nichts Böses, dachte Klara und nickte der Ungarin zu: »Wir gehen mit ihm.«
Réka murmelte etwas Zorniges in ihrer Sprache und wandte sich störrisch ab.
»Vergiss deinen Muff nicht, der liegt noch auf dem Tisch«, sagte Klara.
Réka ging und Otto wandte sich mit finsterem Blick an Klara: »Was soll der Unsinn, ›wir gehen mit‹?«
»Ich hab auch keine Bleibe.«
»Das interessiert mich nicht. Wir haben entschieden, dass uns das nichts angeht.«
»Du und Ludwig?«
»Ja.«
»Und was ist mit Réka?«
»Ich hab Rinus versprochen, auf sie aufzupassen.«
Klara wollte weiterfragen: Was hast du mit dem Holländer …? Da gellte ein Schrei durch das Lokal, gefolgt von lauten Ausrufen, entsetzten Schreien, aufspringenden Männern und Frauen.
Die Eingangstür stand offen und darin, wie eine Erscheinung aus der Hölle, ein junger Mann ohne Jacke und Mantel, das zerrissene Hemd grellrot besudelt, das Gesicht blutverschmiert. Von der Straße her hörte man die Geräusche einer Schlägerei, an der zahlreiche Personen beteiligt waren.
Mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund blickte er keuchend um sich und stolperte zwischen den Tischen hindurch und an der Theke entlang bis in den hinteren, dunkleren Bereich des Lokals direkt auf Klara zu.
Stiefelgetrappel. Ein Mann in braunem Mantel stolzierte forsch herein, in der Hand hielt er etwas, das eher ein Spazierstock als ein Knüppel zum Prügeln war, tatsächlich blitzte ein silberner Knauf zwischen seinen Lederhandschuhen auf.
Kurz bevor der Flüchtende Klara erreicht hatte, wandte er sich ab und steuerte eine Tür an, durch die er entkommen wollte. Sie war abgeschlossen. Er rüttelte wütend daran, warf sich mit dem ganzen Gewicht seines athletischen Körpers dagegen, aber die Tür hielt stand. Er drehte sich um. Suchte das Halbdunkel ab. Wo war der Hinterausgang?
Klara zeigte zur gegenüberliegenden Seite des Lokals. Dort stand eine Tür halb offen, die zur Küche, den Toiletten und vielleicht nach draußen führte. Dann fuhr sie herum.
Hinter dem Anführer trampelten SA-Männer herein und andere Nazis in Zivil, alle mit Knüppeln, abgeschnallten Koppeln, Eisenrohren oder Ketten bewaffnet. Mit mordlüsternen Blicken schwärmten sie im Lokal aus.
Der Verletzte, hinter dem sie her waren, machte ein paar Schritte in die Richtung, in die Klara gedeutet hatte. Aberda bauten sich schon seine Verfolger auf. Von allen Seiten näherten sie sich.
Der Gejagte wirbelte herum, griff nach dem Stuhl, der neben einem Tisch stand. Das dort sitzende Paar erhob sich hastig, um ihm aus dem Weg zu gehen. Der Mann hob den Stuhl und schleuderte ihn mit Wucht gegen die Tischkante, dass er splitterte. Ein Stuhlbein als Schlagstock in der rechten, die Sitzfläche als Schutzschild in der linken Hand, richtete er sich auf. Seine Muskeln spannten sich an. Er biss die Zähne zusammen.
Sein Blick traf den von Klara. Er war noch jung. Viel zu jung, viel zu stark und viel zu wütend, um einfach aufzugeben. Und was hatte er auch zu verlieren? Die Horde, die sich im Lokal breitgemacht hatte, würde ihn nicht lebend aus ihren Klauen lassen. Die Gäste saßen geduckt da oder standen in Nischen gedrängt, wollten nicht bemerkt werden, sagten kein Wort.
Klara schaute zu Otto, der mit Réka einige Schritte entfernt stand. Er hatte eine Hand in die Innentasche seiner Jacke geschoben. Wenn du eine Waffe hast, dann lass uns helfen, versuchte Klara ihm durch ihren Blick zu signalisieren.
Der Anführer stand jetzt mitten im Lokal, das seine Bande erobert hatte, brüllte »Alle mal herhören!« und fuhr in lautem, aber beherrschtem Kasernenton fort: »Keine Angst, Herrschaften! Sie haben nichts zu fürchten. Wir wollen nur diesen Kerl da.« Er deutete auf den Verfolgten, der beherrscht dastand wie ein Gladiator, der sein Schicksal erwartet.
Otto kam einige Schritte näher. Hinter Klara in einer Nische erhoben sich einige Männer, die vor einiger Zeit hereingekommen und offenbar ihren Stammplatz eingenommen hatten. Theaterleute vielleicht, Kulissenschieber, Beleuchter, Handwerker.
Der Wirt hinter der Theke, der nun merkte, dass seine Inneneinrichtung gefährdet war, rief: »Herr Leutnant! Eine Runde Freibier für Ihre Truppe!«
Der Anführer, der vielleicht ein Leutnant war, vielleicht auch nicht, hob die Hand und verlangte Ruhe.
Die
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