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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ausgestattet mit allem, was es brauchte. Nur wenn er dabei an Steve dachte, wurde ihm unbehaglich zumute. Er war ein Mann und konnte sich vorstellen, was Steve wohl empfinden würde, sollte das Kind, das er gezeugt zu haben glaubte, plötzlich dunkler und dunkler werden. Walter versuchte auch hier, den Dingen vorzubauen. Er behandelte Steve nicht mehr wie einen Angestellten, sondern wie einen Schwiegersohn. Er ließ sich von Steve seit der Hochzeit duzen, besprach auch die Angelegenheiten, die nicht in den Verwaltungsbereich fielen, mit ihm. Ja, er gewährte ihm sogar Einblick in seine Bücher.
    »Was meinst du? Sollten wir für Saleem einen neuen Wagen anschaffen? Werden wir ihn bewegen können, sich von dem alten Pickup zu trennen?«, fragte er ihn zum Beispiel.
    Steve schüttelte den Kopf. »Lass ihm den Wagen. Er ist alt und wird sich nur schwer an einen anderen gewöhnen können. Eines Tages wird er ihm unter dem Hintern zusammenbrechen. Wenn er dann die Wahl hat, zu laufen oder sich in einen anderen Wagen zu setzen, darauf wette ich, wählt er den Wagen.«
    Auf den Tag genau sieben Monate nach der Hochzeit bekam Amber plötzlich Wehen. Obwohl der von ihr und dem Arzt errechnete Geburtstermin noch nicht erreicht war, wusste sie, dass ihre Zeit gekommen war.
    Ihr Bauch krampfte sich zusammen, sodass sie laut aufstöhnte. Mühsam schleppte sie sich zum Gutshaus, doch sie musste immer wieder stehen bleiben, eine Hand in ihr schmerzendes Kreuz pressen und nach Atem ringen. Der Schmerz war so überwältigend, dass er Amber ganz und gar ausfüllte.
    Sie rief nach Aluunda, doch als niemand antwortete, erinnerte sie sich daran, dass die alte Haushälterin ihren freien Tag genommen hatte, um einen befreundeten Stamm zu besuchen, der auf seiner Songline gerade in der Gegend war. Saleem hatte sie begleitet.
    Amber stützte sich am Türrahmen ab und versuchte, ganz tief zu atmen. Sie spürte das Kind, das sich in ihrem Leib bewegte. Plötzlich rann Flüssigkeit an ihren Beinen herab und hinterließ eine Pfütze auf dem Boden. Amber wusste, was das bedeutete: Die Fruchtblase war geplatzt. Der Arzt in Tanunda hatte es ihr erklärt.
    Sie schleppte sich zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von Dr. Lorenz. Doch die Klingeltöne verhallten ungehört.
    Niemand war da. Das Gutshaus war leer, die Arbeiter und Steve in den Bergen, ihr Vater bei einem Weinhändler in Tanunda.
    »Jonah«, flüsterte Amber. »Dein Kind will kommen, und niemand ist da, um es zu begrüßen. Jonah, bitte hilf mir. Ich habe noch nie geboren. Ich habe Angst.«
    Wieder wurde sie von einer Wehe überrollt. Schweiß brach ihr aus, ihre Hände krallten sich am Türrahmen fest. Als die Wehe vorüber war, wagte Amber vorsichtig ein paar Schritte. Sie hatte Angst. Niemand hatte ihr erklärt, was bei einer Geburt passierte, wie es sich anfühlte, ein Kind auf die Welt zu bringen. Dr. Lorenz hatte ihr zwar die biologischen Vorgänge genau geschildert, doch was wusste er von den Empfindungen einer Frau in dieser Situation?
    »Mutter«, wimmerte Amber. »Bitte, hilf du mir.« Doch ihre Mutter war schon lange, lange tot.
    Mühsam zog sie sich Stufe um Stufe die Treppe hinauf. Es waren nicht die Schmerzen, die sie lähmten, es war die Angst.
    Amber dachte daran, wie die Aborigine-Frauen ihre Kinder zur Welt brachten. Wenn ihre Zeit gekommen war, hoben die anderen Frauen eine Grube aus, füllten sie mit Kräutern und Wurzeln und zündeten alles an. Die Gebärende kauerte sich über dieses heiße Bett und brachte ihr Kind in der Gemeinschaft der anderen Frauen zur Welt.
    Amber war allein. Endlich hatte sie das Schlafzimmer erreicht. Die Wehen waren stärker geworden, und immer wieder stieß sie ein leises Wimmern aus. Sie spürte, wie sich das Kind in ihrem Bauch bewegte, wie es in die Welt drängte.
    Plötzlich hörte sie Schritte auf der Treppe.
    »Hier«, rief sie so laut sie konnte. »Ich bin hier.«
    Die Tür ging auf, und Steve kam herein. Mit einem Blick wusste er, was geschehen war. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante, nahm ihre Hand und strich ihr mit der anderen die schweißnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
    »Ich glaube, es ist so weit, aber ich erreiche Dr. Lorenz nicht, und auch Aluunda ist weg«, jammerte Amber und klammerte sich voller Angst an Steves Hand.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er ruhig. »Du wirst das Kind bekommen, und ich werde dir dabei helfen.«
    Er lachte leise. »Ich war lange genug auf einer

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