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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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erwiderte sie. »Morgen wird es schon besser gehen. Morgen werde ich wieder auf den Beinen sein.«
    Dr. Lorenz schüttelte den Kopf und sah sie mit ernstem Gesicht an. »Nein, Amber, das werden Sie nicht. Sie hatten einen Kreislaufzusammenbruch. Wenn Sie sich jetzt nicht schonen, wird das Kind in ihrem Leib Schaden nehmen. Ihr Zustand ist ernst.«
    Amber hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. »Was soll ich denn tun?«, flüsterte sie. »Mein Vater ist auf Reisen. Er versucht, den Wein im Norden zu verkaufen. Dort, wo niemand weiß, dass eine Frau es ist, die den Wein macht. Eine Frau mit einem schwarzen Kind. Niemand in ganz Südaustralien kauft mehr von uns. Die Leute scheinen zu glauben, wir wollten sie vergiften. Ich bin nicht Winemaker geworden, um nun nur einem Haushalt vorzustehen.«
    Dr. Lorenz nahm ihre Hand und tätschelte sie. »Niemand in Tanunda glaubt, ihr wolltet jemanden vergiften. Die Menschen nehmen es übel, wenn jemand anders ist als sie selbst. Sie wollen Sie strafen für das, was sie sich selbst wünschen, aber nicht zu leben wagen. Es wird eine Zeit dauern, bis sie akzeptieren können, dass auf Carolina Cellar andere Regeln herrschen als anderswo.«
    »Aber wir können nicht mehr lange warten«, flüsterte Amber. »Das Gut wird bald am Ende sein, wenn niemand mehr bei uns kauft. Schon jetzt lauern Lambert und die anderen auf unseren Grund und Boden. Ich schaffe die Arbeit nicht mehr. Steve sitzt den ganzen Tag im Pub. Alles bleibt an mir hängen.«
    »Sie brauchen viel Kraft, Amber. Und Sie müssen diese Kraft wiederfinden. Ruhen Sie sich aus, das ist jetzt das Wichtigste. Eine kranke Kellermeisterin nützt hier niemandem.«
    Er beugte sich ein Stück über sie und strich ihr mit einer scheuen Geste eine Haarsträhne aus der Stirn.
    »Ich werde morgen meine Mutter zu euch schicken. Sie wird sich ein wenig um Jonah kümmern. Und sie wird sich um Sie kümmern.«
    »Nein, nein«, widersprach Amber. »Wir kommen schon klar; Aluunda ist ja da.«
    »Aluunda ist alt. Auch sie ist am Ende ihrer Kräfte. Meine Mutter würde gern kommen.«
    Dr. Lorenz sah sie mit so viel Wärme an, dass Amber beinahe genickt hätte, doch dann fiel ihr etwas ein: »Weiß Ihre Mutter, dass mein Kind schwarz ist?«
    »Ja«, erwiderte Dr. Lorenz. »Sie weiß, dass Jonah ein Mischling ist. Für sie aber ist er einfach ein kleiner Junge und der Sohn einer Frau, die sie bewundert.«
    »Ihre Mutter bewundert mich?«, fragte Amber fassungslos.
    »Ja, das tut sie. Mein Vater ist sehr früh gestorben. Sie hat mich allein aufgezogen und weiß, was es heißt, Mutter und gleichzeitig Ernährerin zu sein. Sie liest gern, müssen Sie wissen, und bewundert die wenigen jungen Frauen, die es wagen, aber ach, das soll sie Ihnen alles selbst erzählen.«
    In Amber flutete Dankbarkeit auf. Gab es tatsächlich jemanden in Tanunda, der sie nicht verurteilte?
    Sie wagte kaum, es zu glauben. Als Dr. Lorenz ihr seine Hand entgegenstreckte und sagte: »Ich würde gern ›du‹ zu Ihnen sagen, Amber. Ich heiße Ralph«, musste Amber an sich halten, um nicht zu weinen.
    Sie war glücklich und erleichtert darüber, dass sie ab morgen eine Hilfe haben würde. Jetzt konnte Steve sie nicht mehr zurück ins Haus zwingen.
    Doch plötzlich fiel ihr etwas ein: »Dr. Lorenz … Entschuldigung, Ralph, es ist sehr freundlich von dir, deine Mutter schicken zu wollen, aber es geht nicht.«
    Ralph Lorenz zog die Augenbrauen in die Höhe. »Warum nicht?«
    »Ich … ich … wir haben kein Geld, um sie zu bezahlen.«
    Der Arzt begann zu lachen. »Amber, Liebes, meine Mutter kommt doch nicht, um Geld zu verdienen. Im Gegenteil, sie sucht das Gefühl, gebraucht zu werden. Das kann man gar nicht mit Geld bezahlen.«
    Er schüttelte den Kopf, dann fügte er hinzu: »Außerdem hätte ich dann immer einen Grund, auf Carolina Cellar vorbeizuschauen.«
    Margaret Lorenz war eine quicklebendige ältere Dame um die sechzig, die ihr graues Haar kurz geschnitten trug. Sie war etwas füllig, doch sie verstand es, ihre Fülle durch zweckmäßige und gut geschnittene Kleidung zu verbergen. Ihre blauen Augen strahlten vor Unternehmungslust. Obwohl Amber sie nur aus der Kirche kannte und nie mehr als ein paar belanglose Sätze mit ihr getauscht hatte, nahm Margaret Lorenz die junge Frau in den Arm und schmetterte ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange. Dann begrüßte sie Aluunda, als wären sie alte Bekannte, und zum Schluss nahm sie Jonah aus seinem Bettchen. Der Kleine

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