Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
geantwortet hatte.
» Ja.« Er nickte und sah dann naserümpfend auf meine Hände. » Deine Nägel sehen ja übel aus. Was hältst du davon, wenn ich sie dir frisch lackiere, während du wartest, bis Jack aufwacht?«
» Glaubst du denn, er schläft noch?«, fragte ich hoffnungsvoll und überließ ihm meine Hände. Der Inhalt meiner Kosmetiktasche lag noch auf dem Sofatisch verstreut, und Milo lehnte sich vor und schnappte sich den Nagellackentferner, einen Wattebausch und dunkelblauen Nagellack.
» Als wir gegangen sind, war es ungefähr halb drei, und alle waren noch hellwach. Außerdem ist er ein verwöhnter, reicher Schnösel, der nicht arbeiten muss. Warum sollte er nicht ausschlafen?« Da hatte er recht, und ich beruhigte mich endlich wieder ein bisschen.
» In Anbetracht der Tatsache, dass es nicht das erste Mal ist, dass du mir die Nägel lackierst, hätte ich eigentlich schon früher darauf kommen müssen, dass du schwul bist«, neckte ich ihn. Milo lackierte mir die Nägel schon, seit er malen gelernt hatte. Rückblickend betrachtet, gab es viele Dinge in unserem gemeinsamen Leben, die mich hätten stutzig machen sollen.
» Wahrscheinlich«, stimmte er mir zu.
Als er meine Maniküre beendet hatte, blieb er neben mir auf dem Sofa sitzen. Er erzählte mir, wie sehr er Mae und die anderen mochte, und sagte, dass er sie gerne wieder besuchen würde, wenn ich nichts dagegen hätte. Ich hatte überhaupt nichts dagegen – im Gegenteil: Es war schön, gleichzeitig mit ihm und Jack zusammen sein zu können.
Milo erklärte, er habe Peter nicht kennengelernt, was wir beide seltsam fanden. Er war den ganzen Abend in seinem Zimmer geblieben, und Mae hatte ihre Hausführung auf das untere Stockwerk beschränkt. Es schien, als wollten sie ein Treffen der beiden vermeiden.
Der Gedanke, Peter könnte tatsächlich gefährlich sein, versetzte mir einen Stich ins Herz. Vielleicht war es doch nicht der sicherste Ort für Milo. Als ich gerade dazu anhob, meine Bedenken zu äußern, klingelte mein Handy.
» Hey, sorry, dass ich nicht schon früher angerufen habe«, sagte Jack, als ich ranging. Schon allein seine Stimme zu hören, beschwingte mich, doch er klang angespannt, als bedrücke ihn irgendetwas. » Ich hatte gestern noch eine lange Nacht und bin gerade erst aufgewacht.«
» Das tut mir leid. Ich hoffe, das hatte nichts mit mir zu tun«, sagte ich, überzeugt davon, dass mein Verhalten von gestern Abend schuld daran war.
» Nein, das hat es nicht«, versicherte mir Jack sanft. » Wir hatten nur … eine kleine Familienkrise, schätze ich.«
» Was ist passiert?« Angst stieg in mir hoch, und Milo warf mir einen besorgten, fragenden Blick zu, auf den ich nur mit einem Kopfschütteln antwortete.
» Ähm … das erzähl ich dir, wenn ich dich abhole, okay? Wie lange brauchst du noch?« Er verschwieg mir eindeutig etwas.
» Ich bin schon fertig.« Ich war froh, dass ich schon vor seinem Anruf aufgestanden war und mich fertig gemacht hatte. Wenn ich ihn kurz nach dem Aufwachen so gehört hätte, wäre ich mit fettigem Haar und in den Klamotten von gestern Abend zu ihm geeilt.
» Gut, ich bin gleich da«, sagte er und legte auf, wahrscheinlich um zu verhindern, dass ich ihm noch weitere Fragen stellte.
» Was ist passiert?«, fragte Milo, als ich mein Handy zuklappte. Er schien ebenso besorgt zu sein wie ich, doch ich war zu aufgewühlt, um ihm zu antworten. In aller Eile schlüpfte ich in ein Paar Schuhe und warf mir meine dunkelblaue Strickjacke über.
» Alice?«
» Ich weiß es nicht. Er wollte es mir nicht sagen.«
Warum war mir nur schon wieder nach Weinen zumute? Ich hatte früher nie so viel geweint. Die meiste Zeit war ich wirklich ein psychisch stabiler, normaler Mensch gewesen. Doch seit ich Jack und Peter kannte, kamen mir immer sofort die Tränen.
Meine Gefühle schienen mit mir durchzugehen. Es war, als hätte ich mein ganzes Leben lang auf Sparflamme gelebt, was Gefühle anging, und Jack und seine Familie hätten diese Flamme nun plötzlich aufs Maximum gedreht.
» Geht es allen gut?« Milo lehnte sich über den Sofarücken und sah zu, wie ich kopflos hin und her eilte. Wahrscheinlich hatte ich alles, was ich brauchte, trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, noch irgendetwas vergessen zu haben und kontrollierte nochmals meine Taschen.
» Ich weiß es nicht, Milo!«, sagte ich barsch. » Er hat mir nichts gesagt!«
» Sorry.« Mein Ton musste ihn gekränkt haben, und ich wollte mich bei ihm
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