Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
denn sie stellte sich direkt zwischen uns. » Du treibst es noch so weit, dass sie umgebracht wird! Ist es das, was du willst?«
» Du weißt genau, dass ich das nicht will«, fauchte Jack, doch er machte ein schuldbewusstes Gesicht. Die Leidenschaft des Augenblicks war verflogen, und das Bewusstsein dessen, was er mir, oder vielmehr uns, beinahe angetan hätte, nahm ihren Platz ein.
» Warum um alles in der Welt tust du dann so etwas?«, fragte Mae. Er rieb sich die Schläfe und seufzte.
» Weil ich ein Vampir bin?«, antwortete er sarkastisch, doch ich konnte spüren, wie erschrocken er selbst darüber war.
» Du bist so ein Idiot!« Mae wandte sich von ihm ab und untersuchte mich auf Bisswunden. Als sie das Blut an meiner Lippe sah, japste sie erschrocken nach Luft und drehte sich wieder zu Jack. » Warst du das? Hast du Blut gesaugt?«
» Nein!«, protestierte Jack mit weit aufgerissenen Augen. » Das war sie! Sie hat sich auf die Lippe gebissen!«
Mae wirbelte herum. » Warum hast du das getan?« Ich hatte schließlich die Kraft gefunden, mich aufzurichten. » Kannst du dir überhaupt vorstellen, was du ihm damit antust? Seid ihr beide lebensmüde?«
» Es war ein Versehen«, murmelte ich.
» Schnell. Du musst dich gut waschen und brauchst jede Menge Mundspülung.« Mae hielt sich bekümmert die Hand an die Stirn, klang aber sachlich. » Wenn dein Blut auch nur eine Spur nach Jack riecht …« Mit Tränen der Angst in den Augen zeigte sie zur Tür und fuhr mich an: » Geh! Auf der Stelle ! Geh in mein Badezimmer und wasch dich!«
» Es tut mir leid.« Ich krabbelte aus Jacks Bett, was gar nicht so einfach war, da sich mein Fuß in der Decke verwickelt hatte. » Es tut mir wirklich leid.« Als ich die Treppen hinunterstolperte, hörte ich, wie sie ihn anschrie.
» Wie kannst du nur so mit ihrem Leben spielen? Und mit deinem eigenen?«, schimpfte Mae. » Sie ist ein junges Mädchen, Jack! Was hast du dir dabei nur gedacht?«
» Ich hab gar nicht nachgedacht!«, antwortete Jack.
» Ich weiß, wie schwer das für dich ist …«
» Du hast keinen Schimmer davon, wie schwer das für mich ist!«, brüllte Jack wütend zurück, und ich zuckte zusammen.
Mit dem Kuss hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Er konnte nicht mehr in meiner Nähe sein, wenn wir unsere Lebenserwartung nicht auf ein paar Stunden reduzieren wollten. Und dennoch, der Kuss hatte einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie wundervoll diese Stunden sein würden, und vielleicht wäre es die Sache tatsächlich wert …
Diesen Gedanken verdrängend, lief ich eilig in Maes Badezimmer und holte die Listerine-Mundspülung aus ihrem Schrank. Der Alkohol brannte höllisch auf meinen Lippen, trotzdem benutzte ich die Spülung so lange, bis sie ganz taub wurden.
Und nach einer Dusche, die so gründlich und lange war, dass ich danach ganz rote und wunde Haut hatte, entschied Mae, dass es Zeit war, mit mir ein paar ernste Worte zu wechseln.
Sie gab zu, dass sie nur schwer nachempfinden konnte, was Jack und ich durchmachten, weil sie erst sechs Monate lang ein Vampir gewesen war, bevor sie Ezra kennengelernt hatte, mit dem sie seither zusammen war.
Was zwischen Jack und mir vor sich ging, war offenbar etwas völlig anderes, doch solange Peter Anspruch auf mich erhob, durfte zwischen uns beiden nichts passieren, andernfalls würde ich unser beider Leben aufs Spiel setzen.
Jack und ich würden einen Weg finden müssen, Freunde zu sein, ohne in solche Momente zu geraten, in denen wir die Kontrolle über uns verloren. Was uns sicherlich leichter fallen würde, wenn ich nicht auf so dumme Ideen kommen würde, wie etwa, mir in die Lippe zu beißen, um ihn mit meinem Blut zu verführen.
Am Ende blieb ich fast die ganze Nacht dort. Weil ich nach alldem nicht einschlafen konnte, beschlossen wir, so zu tun, als sei nichts geschehen.
Jack legte Die Krähe und The Dark Knight ein, und ich rollte mich neben Mae auf der Couch zusammen. Jack saß mit Matilda am anderen Ende des Raums auf dem Boden, weil das sicherer schien.
Trotz allem, was passiert war, ließ Mae mich von Jack nach Hause fahren. Sie hatte beschlossen, Ezra nichts von dem » Vorfall« zu erzählen, weshalb wir so weitermachen mussten wie bisher. Und das hieß, dass wir lernen mussten, zusammen zu sein, ohne Mist zu bauen.
Als der Himmel langsam heller wurde, erklärte ich mich endlich einverstanden, nach Hause zu gehen.
» Das ist mein Lieblingsmoment des Tages«, sagte Jack versonnen,
Weitere Kostenlose Bücher