Unter dem Vampirmond 02 - Verfuehrung
ihn an. » Donnerlittchen, bist du aber groß geworden. « Ich fragte mich, seit wann sie so gestelzt daherredete.
» Hast du dich in die Fünfzigerjahre zurückversetzt oder was? « , fragte ich.
» Wohl kaum. « Jane ließ ein schrecklich kokettes Lachen erklingen. Ich verdrehte die Augen. » Ich kann nur nicht glauben, dass du es wirklich bist. «
» Ich hatte einen Wachstumsschub « , sagte Milo verlegen.
Er war innerhalb weniger Wochen um fast zehn Zentimeter gewachsen. Seine Haut sah aus wie Porzellan, und der kleine Junge mit Babyspeck war zu einem Calvin-Klein-Model mutiert. Aber ja, man konnte das auch als Wachstumsschub bezeichnen.
» Ja, genau « , stimmte ich zu, als Jane ihn immer weiter anstarrte.
» Mhm « , schnurrte Jane. » Ich wünschte nur, jemand hätte mir davon erzählt. «
» Er ist immer noch sechzehn, Jane « , sagte ich.
Es war, wie Milo schon gesagt hatte: Er war nicht mehr der gleiche sechzehnjährige Milo. Doch ungeachtet aller äußerlichen Anzeichen war er immer noch mein kleiner Bruder, mein naiver, unschuldiger kleiner Bruder, der es nicht nötig hatte, sich von Jane dermaßen taxieren zu lassen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, aber das Ganze war mir trotzdem nicht geheuer.
» Und vor allem ist er schwul. « Ich deutete mit dem Daumen auf die Disco hinter uns. » Deshalb die Schwulendisco. «
» Die besten sind immer schwul « , beschwerte sich Jane. Sie klang wie eine Parodie von Marylin Monroe. Wahrscheinlich war sie am Abend vorher bei Manche mögen’s heiß eingeschlafen.
» Welche besten? « , fragte ich und trat zwischen die beiden.
» Das sagt man nur so, Alice. « Ihr Ton verriet, dass ich ihr auf die Nerven ging.
Als wir zum Eingang der Disco liefen, hakte ich mich bei Milo unter, damit er sich nicht allzu weit von mir entfernen konnte. Jane sah ihn immer wieder von der Seite an, tat aber so, als hätte sie die neue Sachlage verdaut.
Milo grinste den Türsteher an, der uns sofort einließ. Wir mussten nicht einmal Eintritt zahlen. Ich fragte mich, was mir im Leben noch so alles entging, nur weil ich ein langweiliger Durchschnittsmensch war.
Ich konnte der Frage allerdings nicht weiter nachgehen, weil mein Kopf schon bald ausschließlich vom Dance-Remix von Lady Gaga erfüllt war. Ich folgte Milo vom Eingangsbereich in den Raum mit der Tanzfläche.
Wir waren sofort von Lichteffekten, Stroboskoplicht und hämmernden Bässen umgeben. In der Mitte des Raums erhoben sich drei quadratische Podeste, auf denen Typen mit nacktem Oberkörper tanzten. Die Rückwand säumten eine hell erleuchtete Bar und ein paar Sofas. Ich hatte Lust auf etwas zu trinken, bezweifelte aber, dass ich Milo so schnell zur Bar kriegen würde.
Kaum hatten wir die überfüllte Tanzfläche erreicht, da entriss mir ein knackiger Typ meinen Bruder. Milo warf mir noch ein reumütiges Lächeln zu, ehe er verschwand, doch ich winkte ab. Warum waren wir sonst hier?
Da sich keiner der Männer auf Jane stürzte, machte sie sich an zwei hübsche Lesben heran. Die beiden bildeten ein Sandwich mit Jane als Belag dazwischen. Ich wunderte mich, warum ich eigentlich mit ihr befreundet war. Bei all den schicken Vampiren um mich herum, war ich da unserer Beziehung nicht schon längst entwachsen?
Als ich merkte, dass ich allein auf der Tanzfläche stand, fühlte ich mich plötzlich von aller Welt verlassen. Aber Jane, die für ihren eitlen Egoismus eine treue Freundin brauchte, würde mich wohl nie fallen lassen.
Als ich an der Bar versuchte, mir etwas zu trinken zu organisieren, flog ich fast aus der Disco. Da ich noch nicht für einundzwanzig durchging, rief der Barkeeper die Rausschmeißer. Ich rettete mich in eine dunkle Nische, in der sie mich nicht finden konnten.
Von meinem Versteck aus sah ich mehrere männliche Paare, die ungeniert miteinander rummachten. Obwohl ich bei den Lichtverhältnissen nicht viel erkennen konnte, legte ich die Hände wie Scheuklappen an die Schläfen, um mir den Anblick zu ersparen.
Milo tanzte oben ohne auf einem der Podeste, wo er zweifelsohne die glanzvollste Erscheinung war. Alle anderen buhlten um seine Aufmerksamkeit, und ich hoffte, dass er die richtige Wahl treffen würde.
Ich hatte mit Milo noch kein Gespräch über Bienen und Blumen geführt und hoffte, dass Jack ihn im Zusammenhang mit dem Blutsaugen aufgeklärt hatte. Ich konnte es nur hoffen, denn Milo würde recht bald damit konfrontiert werden.
Über die pulsierende
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