Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
aus Dingen bestand, die wir ihm gegeben hatten. Die Daunendecken hatte er von Milo zu Weihnachten bekommen. Ich hatte sie damals für ein dummes Geschenk gehalten, da wir nicht einmal wussten, ob Leif überhaupt irgendwo wohnte, doch Milo hatte gesagt, das sei erst recht ein Grund dafür, dass er Decken brauchte.
Die Bücher stammten aller Wahrscheinlichkeit nach von Milo und Ezra. Es waren hauptsächlich Bücher russischer Autoren, darunter Lew Tolstois Krieg und Frieden sowie eine Ausgabe von Fjodor Dostojewskis Schuld und Sühne. Die Ausgabe von Wer die Nachtigall stört stach deshalb besonders hervor.
Noch bevor ich das Buch in die Hand nahm, wusste ich, dass es dasselbe war, das ich soeben gelesen hatte. Als ich die abgegriffenen Seiten durchblätterte, rutschte ein Lesezeichen heraus. Und als ich es auffing, stockte mir der Atem.
Es war ein Foto von Milo und mir. Die Aufnahme stammte von unserer letztjährigen Silvesterfeier und wir hatten beide zu viel Silberflitter auf dem Kopf. Milo hatte das Bild an den Kühlschrank geheftet, weil ihm darauf seine Wangenknochen so gut gefielen, aber vor ein paar Tagen war es verschwunden. Ich hatte angenommen, dass es abgefallen und unter den Kühlschrank oder den Herd gerutscht sei, und nun fand ich es hier. Leif hatte es mitgenommen.
» Was hältst du davon?«, fragte Leif hinter mir, und ich steckte das Foto schnell in das Buch zurück, aus Angst, Jack könnte es sehen. Ich wusste nicht, warum Leif das Foto an sich genommen hatte, aber im Gegensatz zu Jack tendierte ich dazu, zu glauben, dass seine Motive unschuldiger waren, als es aussah.
» Ähm, wovon denn?« Ich drehte mich zu ihm um und lächelte, um meine Verwirrung zu überspielen.
» Von der Höhle«, antwortete Leif, überrascht von meiner Frage. » Ist alles in Ordnung?«
» Ja.« Ich lächelte noch breiter. » Ja. Ich habe mir nur gerade deine Bücher angesehen.« Ich deutete mit der Ausgabe von Wer die Nachtigall stört auf den Stapel russischer Bücher.
» Ich habe gerade eine russische Phase«, sagte Leif und wies dann auf das Buch in meiner Hand. » Als ich dich das lesen sah, dachte ich, ich greife zwischendurch einmal zu einer etwas leichteren Lektüre.«
» Ah. Na ja … es ist ein gutes Buch.« Ich gab es ihm. Ein Teil von mir hätte gerne das Bild herausgenommen, aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass er etwas Schlimmes damit vorhatte. Ich fand es nur irgendwie unheimlich, dass er es gestohlen hatte.
» Ezra weiß, dass ich die Bücher habe«, erklärte Leif, der meine Reaktion offenbar missinterpretiert hatte. » Er hat sie mir geliehen.«
» Ezra hat eine wirklich große Auswahl an Büchern.« Ich nickte eifriger, als es nötig gewesen wäre. » Er hat eine Menge guter Bücher und er teilt sie gerne mit anderen. Da ist er … echt spitze.«
» Ja, das ist er.« Leif zögerte. » Ist wirklich alles okay mit dir?«
Glücklicherweise musste ich diese Frage nicht noch einmal beantworten, denn in diesem Augenblick flog eine Fledermaus über unsere Köpfe hinweg und lenkte uns alle für einen Moment ab. Dann entschied Peter, dass es Zeit war, zu gehen. Er hatte bereits einen Plan geschmiedet, wie er den Ort aufmöbeln würde, damit Mae nicht vollkommen ausflippte, wenn er sie hierher führte, und er brannte darauf, ihn in die Tat umzusetzen.
Leif blieb hinter uns, als wir die Höhle verließen, und ich griff nach Jacks Hand, sobald wir den Tunnel betraten. Ich hatte mich in Leifs Nähe noch nie unwohl gefühlt. Obwohl er zum Rudel der brutalen Lykane gehört hatte, war er mir auf Anhieb sympathisch gewesen, als ich ihn in den Wäldern Finnlands zum ersten Mal gesehen hatte.
Aber dass er ein Bild von Milo und mir gestohlen hatte, hatte etwas seltsam Persönliches. Vielleicht lag das daran, dass auch Milo auf dem Bild war.
Ich verstand Jacks Gefühle nun ein wenig besser. Ich wusste, dass das, was auch immer mich mit Leif verband, harmlos war. Aber wenn es um meinen Bruder ging, meldete sich mein Beschützerinstinkt. Was konnte Leif nur von Milo wollen?
Kapitel 16
» Den Schwur, den ich am Grab meiner Eltern abgelegt habe«, sagte Bobby mit leiser, rauchiger Stimme, » den Schwur, diese Stadt von jenem Übel zu befreien, das sie das Leben gekostet hat, werde ich vielleicht bald schon einlösen können.« Er saß auf dem Geländer, das das Dach über Olivias Penthouse umgab, und schaute auf die Lichter der Stadt hinab.
» Wovon redest du?«, fragte ich ihn, nachdem ich mich
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