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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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Heiligen Wassern sah er sich am stärksten dem Wirken der Menschen ausgesetzt. Und natürlich dem des Seneschalls.«
    »Und welches ist das vierte Gewässer?« wollte das Mädchen wissen.
    »Das liegt hoch im Norden«, lächelte der Schweinehirt in sich hinein, »und ich halte es für das schönste von allen.«
    Faraday wandte sich an die Katzenfrau. »Warum nennt man diese Seen heilig?«
    Yr war gerade damit beschäftigt, ein Korinthenplätzchen zu verspeisen, und hielt sich eine Hand unters Kinn, um die Krümel aufzufangen. »Jeder von ihnen hat seine ganz besondere Aufgabe«, antwortete sie vieldeutig, »und besitzt seine eigenen Geheimnisse. Heute, spätestens morgen werdet Ihr mit eigenen Augen erkennen, warum die Awaren vor allen anderen die Mutter verehren.«
    Faraday erinnerte sich daran, was Veremund ihr über dieses Volk berichtet hatte – über die Menschen des Waldes. Und die Ikarier hatte er das Volk des Flügels genannt. Vor kurzem hatte Jack ihr noch verraten, daß die Ikarier fliegen konnten. »Yr, man bezeichnet die Ikarier doch als das Volk des Flügels, und sie sollen Schwingen besitzen. Nun, wie sehen dann die Awaren aus, diese Menschen des Waldes? Haben sie vielleicht Blätter anstelle von Haaren?«
    Beide Wächter lachten laut. »Nein, mein liebes Kind, gewiß nicht«, entgegnete Jack und stand wieder auf. »Kommt, wir müssen weiter.«
    Kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, da fiel Faraday wieder ein, was der Mönch über die Awaren berichtet hatte – daß sie sich nämlich darauf verstünden, mit Bäumen zu sprechen. Das Mädchen schaute zu den Hängen der Farnberge hinauf. Diese Höhen hatten ihren Namen daher, daß sie dicht und hüfthoch mit Schachtelhalmgewächsen bestanden waren. Ein lückenloser Teppich dieser Pflanzen bedeckte die meisten der tiefer gelegenen Hänge. Faraday fragte sich nun, ob die Höhen rings um den Farnbruchsee nicht vielleicht Pflanzen einer höheren Ordnung trugen – zum Beispiel Bäume. Wieder wurde das Mädchen unruhig. Bislang hatte ihr Leben vornehmlich aus der Furcht vor dem Wald und den verbotenen Kreaturen bestanden, die darin hausen sollten. Auch die wunderschöne Erinnerung an das Sternentor konnte solch tiefsitzenden Ängste nicht ohne weiteres überwinden.
    Timozel träumte in seinem zauberischen Schlaf.
    Wieder schritt er durch einen langen Eistunnel, fand nirgendwo einen Ausweg, litt Todesängste und gelangte endlich erneut vor die hölzerne Tür. Und sogleich ertönte die dröhnende Stimme von der anderen Seite und forderte ihn zum Eintreten auf. Gegen Timozels Willen legte sich seine Hand fest auf die Klinke und drückte sie nach unten. »Nein!« schrie der Jüngling, doch die Klinke sank weiter hinab, bis das Schloß knackte und die Pforte aufsprang. Als sie sich einen Spaltbreit aufgetan hatte, floh Timozels Geist diesen Ort, und er sank in den traumlosen Schlaf zurück.
    Nach vielen Stunden Aufstieg erreichten Jack, Yr und Faraday die Kuppe, und auf der anderen Seite lag unter ihnen der Farnbruchsee: ein riesiges kreisrundes Becken, das den gesamten Grund eines eingestürzten Gipfels einnahm und mit smaragdgrünem Wasser gefüllt war. Farnkräuter groß wie ein Mensch wuchsen am Ufer, aber hier und da streckte ein Gehölz seine Wipfel in den wolkenverhangenen dunklen Himmel. Der Schweinehirt führte sie nach unten zu einer grasbestandenen Lichtung zwischen den Bäumen und dem See.
    Das Mädchen stieg schweigsam den Hang hinab und gelangte auf einen schmalen Pfad, der von mannshohen Farnen begrenzt wurde. Der See sah zwar recht hübsch aus, wirkte aber bei weitem nicht so schön, wie die Wächter ihn ihr beschrieben hatten. Und mit dem Sternentor ließ er sich erst recht nicht vergleichen. Außerdem drückte der Anblick so vieler Bäume auf Faradays Gemüt. Sie riefen ihr nämlich gleich wieder die gräßliche Vision ins Gedächtnis zurück. Faraday glaubte nicht, daß sie ein neues Lied der Bäume ertragen könnte. Yr wandte sich zu ihr um und lächelte ihr zuversichtlich zu. Die Katzenfrau hatte ihr versichert, sie werde die Bäume noch lieben lernen, sie mehr lieben als ihr eigenes Leben. Faraday befürchtete eher, daß es ihrer ganzen Willenskraft bedürfen werde, sich nicht angeekelt von ihnen abzuwenden. Selbst der süße Gesang der Vögel in diesem Grün vermochte sie nicht heiter zu stimmen.
    Die drei brauchten fast eine Stunde, bis sie den Hang hinabgestiegen waren, den See umrundet und endlich die Lichtung erreicht hatten. Sie

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