Unter dem Wolfsmond – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
’n Indianerkram.«
»Fick dich doch ins Knie.«
»Schönen Abend noch«, sagte ich. Ich stieg aus dem Laster und sah ihm nach, wie er die Hauptstraße entlang in Richtung seiner Hütte ging. Gute drei Kilometer im tiefen Schnee. Ich schüttelte den Kopf und ging ins Lokal.
Ich saß ganz allein am Tresen, aß irgendwas und trank ein paar kalte Kanadische. Jackie las in meinem Gesicht, daß dies ein Abend war, an dem man mich besser in Ruhe ließ. Genau so ging es wohl den Jungs aus meiner regelmäßigen Pokerrunde, die am Kamin saßen.
Ich dachte über das nach, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. Nichts von dem, was ich getan hatte, gefiel mir. Ich war blöd genug gewesen, sie allein in der Hütte zu lassen. Und dann war ich den ganzen Tag wie ein Hund meinem eigenen Schwanz nachgejagt und hatte mich gewundert, warum alle um mich herum so komisch waren.
Der Grund, warum sie so komisch waren, Alex, war, daß du einen Narren aus dir gemacht hast. Sie hatten recht und du unrecht, und sie haben sogar noch versucht, dir das zu sagen. Brandow hat es dir auf seine Weise gesagt, und Maven hat es dir um die Ohren geschlagen: Geh nach Hause und laß die richtigen Polizisten ihre Arbeit tun.
Etwas anderes konnte ich wirklich nicht tun. Das sah ich ein. Jetzt endlich, hier an der Theke, beim dritten Kanadischen, und nachdem ich den Teller zurückgeschoben hatte. Einmal in meinem Leben mußte ich akzeptieren, daß etwas Schlimmes passiert war und daß es in der Welt nichts gab, was ich daran ändern konnte. Bruckman und Dorothy waren vielleicht inzwischen schon über alle Berge.
Und die Sache mit Vinnie – vielleicht hatte ja auch er recht. Wie kam ich dazu, die Reaktion der Parrishs zu verurteilen? Wie konnte ich wissen, was sie in Wirklichkeit fühlten? Oder was sie in all den Jahren mit ihrer Tochter durchgemacht hatten, bis es dazu gekommen war?
Ich mußte mit ihm sprechen. Und dann mußte ich ins Bett. Ich warf einen Zwanziger auf den Tresen und ging dann hinaus in den nicht enden wollenden Schneefall. Der war inzwischen etwas leichter geworden. Vielleicht waren wir morgen nicht gänzlich begraben.
Wieder setzte ich den Laster in Gang und fuhr über die Hauptstraße bis zu meiner Stichstraße. Den ganzen Weg ist Vinnie zu Fuß gegangen, sagte ich mir, und das in diesem Schnee.
Ich senkte den Schneepflug und schob mich die Stichstraße hoch. Es war Pulverschnee, aber genug davon, daß es harte Arbeit war. Ich hatte zu kämpfen, daß der Pflug gerade ging. Als ich Vinnies Hütte erreichte, sah ich ihn draußen mit einer Schneeschaufel in der Hand. Er hatte gerade mit dem Räumen begonnen und noch eine lange Nacht vor sich, wenn er seine ganze Zufahrt freischaufeln wollte.
Ich hielt an und kurbelte das Fenster herunter. »Geh mir aus dem Weg«, sagte ich.
Er sagte nichts. Er schaufelte weiter. Er hatte den Mantel ausgezogen und über den Briefkasten gelegt. Er mußte schon heftig schwitzen.
»Vinnie, geh mir aus dem Weg«, sagte ich. »Dann kann ich deine beschissene Einfahrt freischaufeln.«
Nichts. Er sah mich nicht einmal an.
»Vinnie, komm«, sagte ich. »Sag doch was!«
Er schaufelte weiter.
Lange sah ich ihn an. Man hörte nur das Geräusch der Schaufel, wenn sie über den Boden kratzte. Die Schaufel war nicht lang genug. Zwei Stunden Arbeit mit dem Gerät, und der Rücken mußte ihm höllisch wehtun.
»Schön«, sagte ich. »Du kannst mich mal.«
Ich rumpelte an ihm vorbei und weiter, den ganzen Weg bis zum Ende der Straße, und schob dabei den Schnee zur Seite. In den meisten meiner Hütten sah ich Licht; die Schneemobilfahrer hatten wohl ihren Tag beendet oder wärmten sich auf für eine letzte Fahrt. Als ich zu meiner Hütte kam, räumte ich noch den Schnee von der Einfahrt und stieg aus dem Wagen. Und blieb stehen.
Meine Haustür stand offen.
Ich stand da, wartete und lauschte auf irgendein Geräusch aus dem Innern. Ein Schneemobil heulte in der Ferne und verstummte wieder. Dann herrschte Stille.
Der Schnee knirschte, als ich zur Tür ging und sie vorsichtig ganz aufstieß. Ich besaß eine Pistole, doch die lag versteckt in einem Schuhkarton in den Tiefen meines Wandschranks. Das nutzte mir im Moment herzlich wenig.
Ich sah ein einzelnes Licht hinten in meiner Hütte. Es war die Nachttischlampe. Der Schirm war auf der Birne verrutscht und tauchte den ganzen Raum in einen düsteren Schimmer. Rauch stieg von der Stelle auf, wo der Schirm durch die Hitze der Birne zu glimmen
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