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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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daß er sie abholen und abliefern ließ wie ein bestelltes Paket?
    Das Haus hatte einen Lift, doch sie verzichtete darauf. Erstens wollte s ie v er m eiden, sich auch no c h ein ve r tr a ulich e s Zwinkern des Liftboys einzuhandeln, und zweitens konnte sie nicht stillstehen, wenn sie wütend war. Ihre Absät z e klapperten auf den hölzernen Stufen, während sie die Treppe hochlief. Im dritten Stock angeko mm en, wartete sie, bis s i ch ihr Atem wieder beruhigt hatte. Dann klopfte sie an die einzige Tür die s es Geschosses; es m ußte eine großzügige W ohnung sein.
    »Es ist offen.«
    Philipp saß hinter dem Schreibtisch eines, soweit sie das erkennen konnte, hell eingerichteten Rau m es und m achte sich Notizen. Als sie eintrat, sc ha ute er auf, ließ seinen Stift sinken und sagte, noch ehe sie zu ihrer überlegenen, sardonischen B egrüßung ka m :
    » W as ist denn m it dir passiert ? «
    Sie hatte die kaum verkrustete W unde an der Unterlippe vergessen.
    »Danke, Philipp, ich freue m i ch au c h, dich zu sehen«, erwiderte Carla. »Dein österreichischer Char m e nimmt m ir jedes m al den Ate m .«
    Er stand auf, um ihr den Mantel abzuneh m en. Als er näher kam, erfaßte sie, daß er lächelte.
    »Hexe«, sagte er belustigt, hängte den Mantel über den Garderobenhaken im Flur, dann kehrte er zur M i tte d e s Rau m es zurück, wo sie inzwisc h en sta n d, u n d m usterte sie von oben bis unten. Aber er berührte sie nicht.
    »Du überraschst m i ch immer wieder. Da ist also Rotkäppchen ganz allein zum großen bösen Wolf gekom m en.«
    »Philipp«, sagte Carla m it einer l e ichten Gri m asse, »bring deine Metaphern in Ordnung. Entweder bin ich eine Hexe oder Rotkäppchen. Beid e s läßt sich n i cht m it e inander vereinbaren. Nur eins kann ich dir versichern, du bist nicht der große böse Wolf.«
    Sie nahm den Schreibtisch m it s e inen hellen Maserungen in Augenschein, dann das blaßblaue Sofa, neben dem ein kleinerer Tisch m it einem Gram m ophon und einigen Schellackplatten stand.
    »Das wird doch nicht dekadente M u sik sei n ? « fragte sie m it hochgezogenen Augenbrauen.
    »Die W ohnung gehört einem Freund. Aber«, sein Lächeln vertiefte sich, »wie ich m i ch erinnere, s c hulde ich dir noch einen Tanz.«
    »Nur, wenn du m i ch nicht wieder f allen lä ß t«, entgegn e te Carla und durchstöberte den kleinen Plattenstapel. P hilipps F re u nd war zum Glück wenigstens kein Anhänger von Volks m usik. S c hließlich fand sie, was sie suc h te: einen Tan g o. Zu tanzen war eine hervorragende Idee; tanzend fühlte sie s i ch nie unzulänglich und unsicher, sondern als Herrin der Situation.
    Wer auch immer ihm den Tango beigebracht hatte, war gründlich gewesen; er konnte ihn f ast so g u t w ie die Gigolos in den Tanzcafés. Aber ihre eigene Lässi g keit fehlte ihr und wollte sich auch nicht ei n stellen. Es war so ungerecht, daß P hilipp es im m er fertigbrachte, sie in un m ittel b arer Nähe s o zu beu n r u higen. Je d er Fleck ih r es Körpers, der gegen seinen gepreßt war, kribbelte, als w erde sie nacheinander in heißes und kaltes W asser getaucht. Und die ganze Zeit über sagte er kein W ort. Oh, das war ein Fehler gewesen. W i e dumm, wie töricht, zu einem Mann z u gehen, der sie nicht mochte und den sie nicht m ochte, der keinen Grund hatte, sie in irgendeiner Hinsicht zu schonen.
    In das Rauschen des Grammophons hinein m ur m elte sie: »Es tut m i r leid. Ich gehe lieber.«
    »O nein«, sagte Philipp, »ganz bestim m t nicht.« Er legte beide Hände an ihre Schläfen und bog i h ren Kopf zurück. »Zu spät, Rotkäppchen«, fuhr er fort, und sie dachte, ich habe keine Angst vor dir, ganz bestim m t nicht. » W ir halten jetzt endlich unsere alte Verabredung ein, mein Kind. H eute ist es nicht Robert oder X oder Y. Heute bin ich es.«
    Einen Moment lang erwog sie, ihn wieder wie in Nürnberg außer Ge f echt zu setzen, a b er dann entde c kte sie, d aß sie das n icht wollte. Doch sie war auch k ein kleines Mädchen m ehr, das wie Dornröschen darauf wartete, daß m an es küßte, also reagierte sie zuerst. Sei n e Haut unter dem H e md, das er trug, w ar m it kleinen krausen Härchen bedeckt, ein seltsa m es Gefühl, und das Kinn kratzte schon wieder; gleichzeitig waren die streichelnden Hände, die langsam ihr Kleid aufknöpften, während sein Mund sich in sie hineinbrannte, glatt und überraschend sanft.
    »Philipp«, flüsterte sie, als er s i e aufhob und in den nächsten

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