Unter dem Zwillingsstern
auf.
» W ie lange ist es her, daß Sie koscher gegessen haben, Kathi?«
»Viel zu lange, um m einen Körper je m als wieder reinigen zu können«, entgegnete sie m i t einer Gri m asse und lächelte in Erinnerung an all die Vorschriften in ihrer Kindheit, und wie schwer es da m als gewesen war, sie zu befolgen, wenn alle anderen Kinder, selbst die är m eren, unter einer so viel bre i teren Mannigfaltigkeit an Speisen wählen durften. W as ihr d a m als in ihrer jugendlichen Rebellion als klei n lich, als ver a lt e ter, unerträglicher Ballast erschienen war, löste heute eine Mischung aus Nostalg i e und A m üse m ent aus, und an der Art, wie Martin ihr Läc h eln erwi d er t e, erkannte sie, daß es ihm ähnlich ging.
»Nein, an koscheres Essen könnte i c h m i ch wohl nie m ehr gewöhnen«, m einte sie, »bis auf Schalet. Das ist die einzige Speise, der ich wirklich nachgetrauert habe, als ich das orthodoxe Leben hinter m i r ließ.«
»Meine E ltern waren nie orthodox und aßen nur an Feiertagen koscher oder wenn Vetter Ludwig zu Besuch kam er ist ein Rabbi, wissen Sie. Aber Schalet hat es bei uns auch gegeben, und Sie haben recht, es fehlt eine m …«
Ihm fiel ein, daß er Ludwig lange nicht m ehr gesehen hatte, und er fragte sich, wie es seinen Ver w andten wohl ginge. Ludwigs Bruder Max hatte ein Möbelgeschäft gehört, soweit er sich erinnerte. Möbelgeschäfte fielen eben f alls unt e r die Betriebe, die nun nur noch m i t nichtjüdischen Teilhabern geführt werden durften.
Käthe spürte, wie die H e iterkeit von ihm wich, und ahnte, woran er dachte. Auch ihr Lächeln verbla ß t e. Mit einem m al war die Realität wieder da, sperrig und kalt, und d e r Mo m ent geteilter E r innerungen gehörte zu einem no r m a len Leben, das ihnen nicht länger zur Verfügung stand.
»Ich habe eine Bitte«, sagte Dr. Gol d m ann unver m ittelt. Ei ge ntlich hatte er diese Angelegenheit noch etwas hinausschieben wollen, doch nun war wohl der geeignete Zeitpunkt gekom m e n.
»Sie können sich gewiß vorstell e n, daß m i r nach dem Verkauf m einer Praxis einiges an Ver m ögen s werten zur Verfügung steht. Nur möchte ich einige dieser W erte unter den gegebenen U m ständen lieber im Au sl and anlegen. Von Deu t schland aus kann ich sie nicht transferieren lassen. Darf ich sie Ihnen anvertrauen ? «
Zum ersten Mal an die s em Tag w u ßte Kät h e nicht, was sie sagen sollte, weil es zu viel gab, das sich ihr in den Sinn drängte. Hieß das, er wollte nun doch seine Ausw a nderung vorbereiten? Aber warum dann die feste Erklärung von vorhin, die sein Bleiben in Deutschland beschwor? Und wie hatte er das G e ld über die Grenze ge br acht? Sie wußte, daß von den deutschen Zöllnern gerade in dieser Hinsicht scharfe Kontrollen durchgeführt wurden. Mißliebig gewordene Bürger vertrieb der neue Staat ausgesprochen gerne, aber er bestand darauf, m öglichst viel von ihrem Eigentum zu behalten.
»Nein«, sagte Dr. Goldmann, der ihren Überlegungen folgen konnte, »ich will nicht auswandern. Aber sollten He rr n Hitler n oc h weitere Schikanen einfallen, höhere Steuern beispielsweise, dann ist es gut, Mittel im Ausland zu haben, von denen er nichts weiß.«
Er seufzte, bückte s i ch, öffnete seine Reisetasche, die ne be n ihm unter dem Tisch stand, und holte nach einigem Suchen m eh r ere Arzneiflaschen und Tablettenröhrchen hervor. W ä hrend er sie Käthe über den Tisch zuschob, fuhr er fort:
»Zwischen den Tabletten und i m Hustensaft werden Sie ein paar Dia m anten finden. Ich kom m e m i r m it diesem Räuber- und Gendar m spiel in m einem Alter etwas l ä c h erlich v o r, aber es schien m i r angebrac h t. Darf ich m it Ihrer Hil f e rechnen, Käthe? Ich bin sicher, Sie werden die Dia m a nten hier veräußern können, sollte es nötig sein.«
Da begriff sie. W enn es ihm wirklich darauf angekommen wäre, Ver m ögen s werte im Ausland anz u legen, dann hätte er Roberts Freunde in der Schweiz be m üht. Was er hier tat, so zartfühlend wie möglich, lief darauf hinaus, i h r eine im m ense Sum m e zur Verfügung zu stellen, um ihr zu helfen, solange er das konnte. Deswegen war er nach Paris gekommen. Die Kehle wurde ihr eng. Sie war eine zu große Realistin, um sich zu schwören, daß sie nie auf seine Dia m anten zurückgreifen würde, aber d i e U m stände würden schon sehr bitter und zwingend sein müssen. Ihre Augen bra n nten, obwohl sie ihre Tränen unterdrückte. Sie war g e übt
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