Unter dem Zwillingsstern
er selbst davon unbehelligt blieb, Fontane statt Schauergeschichten verfil m te und dank seines F r eundes Gründgens für den Herbst ein fes t es Engagement am Theater am Gendar m en m arkt hatte.
»Gut, nun verstehe ich, warum er dir grollt, aber warum bist du böse auf ihn?« erkundigte sich Nancy, na c hdem C a rla geendet hatte.
»Ich bin im m er böse auf Leute, die böse auf mich sind, und vermutlich ne h m e ich ihm auch übel, daß er in das Theate rä quivale n t eines goldenen Nestes hineingeboren wurde. Ganz ehrlich, ich hätte Max Reinhardt liebend gern als Vater gehabt.«
Eigentlich glaubte Carla, das s e hr überzeugend gesagt zu haben, doch Nancy schüttelte den Kopf, o h ne ihre Auf m erks a m keit von der Straße zu w enden. Erst jetzt fiel C a rla auf, daß sie nic h t zurück zu den Nakamuras fuhren, sondern in Richtung Santa Monica, auf d i e Küste zu.
»Das ist nicht der Grund.«
Entweder verlor sie ihre Beg a bung zum Lügen, oder das vergangene Jahr hatte Nancy ein wenig zu hell s ichtig ge m acht. Carla g r i f f erneut zu i h rer Handta s che, um sich eine Zigarette a n zuzü n den, was im Fahrtwind nicht ganz leicht war.
»Bin ich wirklich überzeugend als A siatin ? « fragte sie ablenkend.
»Nein. Du hast ein klassisches G a ijin-Gesicht. Aber das Publikum hat Boris K arloff als Fu Manchu akze p tiert, und er wirkt noch weniger a s iatisch als du. I h r ü ber m ittelt aller d ings beide überzeu g end Klischees über Asiaten. Tatsache ist«, schloß Nancy trocken, »daß es in diesem Land genügend chinesische und japanische Schauspieler gibt, aber für ei n e Riesenpr o duktion wie Die Gute Erde will M G M weiße Darsteller. Das verkauft sich besser und bringt Oscars. Alles, was unter d i e K a tego r ie f ar b ig f ällt, gewinnt auch bei der b esten Publicity keine Academy Awards.«
Die Bucht kam in Sicht und dahinter die steilere Küste, die B erge, auf denen Pacific Palisades lag. D a s war es, was sie an Los Angeles am m eisten liebte und was sie im m er wieder m it der Stadt versöhnte: der lange w eiße Sandstrand von Santa Monica und das Meer, der trügerisch ruhige Pazifik, wo m a n m anch m al Delphine sehen konnte und angeblich, obwohl es ihr noch nicht vergönnt gewesen war, gelegentlich auch W ale. Ein m al war sie am frühen Morgen hergeko mm en und h a tte die Erfahrung ge m a cht, daß den größeren Teil des Vor m ittags Nebel vom Meer au f stieg. In m itten der Sta d t oder auf dem Studiogelände, in Universal C ity, war nichts davon zu spüren, doch die K ü ste hüllte sich tat s ächlich m orgens in Dunst, so dicht wie auf einem Ge m älde von Caspar David Friedrich. Sie fragte sich, was Friedrich wohl aus dieser Landschaft g e m acht hätte, den kargen, braungrünen Hügeln, den bleichen Stränden und der glatten, azurschim m ernden Oberfläche des Meeres.
Da es Sonntag war, kampierten eine ganze Reihe von Fa m ilien am Strand. Nancy brauchte einige Zeit, bis sie einen geeigneten Platz fand, um d e n W agen zu parken. Sie m u sterte C arla, die sich, auf das Meer blickend, sichtlich entspannte, und sagte dann:
»So, und nun verrate m i r bitte den w a hren Grund für die Szene von vorhin.«
»Das ist Bestechung«, erwiderte Carla m it einem kleinen Lächeln, das schnell wieder verschwand.
Ehe sie den W agen verließ, zog sie ihre Schuhe aus. Das kurze Stück Teerstraße und dann der S a nd brannten unter ihren Füßen, doch sie hatte den Sand spüren wollen, und sie rannte auf das Meer zu. Es e m pfing sie, u m s ch m eichelte kühlend ihre Beine und spritzte bis zu dem hellen Frühlingskleid hoch, das sie t r ug. Sie schloß die Augen und l i eß das Gefühl, in m itten der Gezeiten zu stehen, auf sich einwirken, während die sachten W ellen ka m en und gingen.
»Du bist in vieler Hinsicht noch ein Kind, weißt du das ? « erklang Nancys Stimme neben ihr.
»Nein«, entgegnete Carla, ohne die Augen zu öffnen. »Nein, schon lange nicht m ehr.«
Sie schaute auf und begann, am S t rand entlangzuwaten, i mm er m i t den Füßen im Wasser, Nancy neben sich, die ebenfalls ihre Schuhe ausgezogen hatte, sie jedoch in der H and hielt.
» W ie schätzt du m ich ein, Nancy ? « fragte sie unver m ittelt.
»Glaubst du, ich bin…«, sie suc h te nach dem richtigen W ort,
»…prinzipientreu? Stehe ich zu m e iner Überzeugung? Kathi glaubt es m eine Lehrerin. Sie ist einer der wenigen wirklich guten Menschen, die ich kenne. Aber ich bin k e iner. Vergli c
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