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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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geben hatte, weil es ihrem Leben einen Sinn verli e h. Acht Stunden gingen irgendwann auch zu Ende, und es bestand kein Grund, sich wegen etwas Ate m not und überdehnten Muskeln in Selbstmitleid zu ertränken.
    »Grundgütiger, Jack«, sagte eine tiefe Stimme m it ungarisch e m Akzent a m üsiert, » m achen Sie hier der spanischen Inquisition Konkurrenz?«
    »Sie wissen doch, ich mag keine Z u schauer, Mr. Lugosi«, brum m te der Maskenbildner, doch er warf den Neuankömmling nicht hinaus, wie er das bei anderen unliebsa m en Eindringlingen getan hatte.
    »Nein, aber Ihr Opfer braucht vielleicht etwas A blenkung.«
    »Ich m uß m i ch konzentrieren! Da lenkt Geschwätz nur…«
    »Keine Sorge, Sie werden kein Wort von dem verstehen, was ich sage.«
    Lugosi wechselte ins Deutsche über, das er wie die m eisten Ungarn seiner Generation fehlerlos beherrschte und sowohl flüssiger als auch schneller sprach, als ihm das bis h er mit Englisch gelungen war.
    »Meine L i e be, ich b in m it m einer Arbeit v o rz e itig fe rtig g e worden, und ein Spatz hat m ir ins Ohr gepfiffen, daß heute Ihr großer Tag ist. Also dachte ich m i r, besuch doch das Set nebenan, und finde heraus, warum du nie m als eine Mu m ie sein wollt e st. U nd vertrei b e dein e r zukünftigen Tochter die Zeit. W i r w e rden nä m lich Vater und Tochter
    zusam m en s pielen, wußten Sie das schon? Ich hoffe doch n i cht, denn ich habe es selbst erst heute m o rgen von Junior erfahren. Offenbar hat ihm Mr. Kohner ein m al m ehr den Fil m , von dem m a n nicht spricht, gezeigt, und daraufhin hat J u nior sich einige Ihrer Tages m uster an g ese h en. W as die Vater-Toc h t er-Ge s chic h t e ange h t , d i e Idee stam m t von dem einsichtsvollen Her r n, der m i ch heute Boris Karloff foltern ließ, Edgar Ul m e r. Viellei c ht kennen Sie ihn, er kam seinerzeit m it Max Reinhardt und dessen Mirakel-T o urnee nach A m erika und blieb hier hängen, wie das so viele von uns tun. Jedenfalls erzählte er m ir heute gleich nach der F o lterszene…«
    Es gab wenig, was gleichzeitig so beruhigte und unterhielt wie eine gut ausgebildete Schauspielerstimme. Mehr noch als von den guten Nachrichten ließ Carla sich von L u gosis Monolog a m üsieren, einwickeln und davontragen. Sie wünschte nur, sie hätte noch sehen können; je m and, der so ausgezeich n et modulierte, mußte auch über ei n e hervorragende Mi m i k verfügen. Er trug sie durch die endlos lange Zeit, in der Pierce Carl a s Gesicht u nd Hände m it Fettsc h m i ere einstrich, um si e farblich vollkom m en dem Körper m it seinen Leinenbändern anzupassen. Abschließend rieb er sie am ganzen Leib m i t Füllers Erde ein, einer Substanz, die, w i e er auf Lugosis Anfrage erklärte, gewöhnlich in Farbfabriken benutzt w urde.
    »Diiic k !« rief Pierce triumphierend. »Je t zt könnt ihr sie haben ich bin fertig.«
    Der K a m era m ann und der Regieassis t ent d rängten als erste in den Rau m , sow e it Carla das an den gratulierenden Stim m en f e ststellen konnte. Sie war noch immer blind. Es fiel ihr auch schwer, zu sprechen, ohne das Gesicht zu bewegen, aber sie preßte zwischen ihren erstarrten L ippen ein langgezogenes »Danke« an Lugosis Adresse heraus. Sie nahm sich vor, eine ange m essene Gegenleistung zu finden, wenn sie erst wieder von dieser Maske befreit und ein menschliches W esen war.
    »Gern geschehen. Ich hatte schon l a nge kein lebendiges Publikum m ehr.«
    D a m it verschwand er; zu m indest h ö rte sie ihn nicht m ehr aus dem Stim m eng e wirr heraus, das sie in das Atelier dirigierte. Dort half ihr der Beleuchter, ihre Position zu finden. Sie hatten die Szene geprobt; es handelte sich um eine Rei h e ein f acher Bewegungen, die Mu m i e verließ den Sarkophag, ging auf d e n Archäologen zu und legte ihm die Hände um den Hals. Das Problem war, die Bewegungen jetzt, wo sie fast be w egungsunfähig ge m acht worden war, zu wiederholen und vor allem trotz m angelnder Sicht den Darsteller des Archäologen nicht zu verfehlen, aber dafür, dachte Carla m it de m , was sie nach den acht Stunden an Ironie noch in sich hatte, bezahlen sie m i c h schließlich.
     
    Als sie völlig erschöpft in ihrem Auto saß, wurde der H i mmel a m Horizont bereits hell. Jedes Fleckc h en Haut kam ihr wundgescheuert vor, ganz zu schweigen von ihrem H aar, das die Prozedur nur stark gekürzt überstanden hatte. Sie m ußte wie ein Ig e l aussehen. Aber es war vorbei, sie hatte es geschafft, und

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