Unter dem Zwillingsstern
lag die Ver m utung nahe, daß er etwas m it der allge m einen Katerstim m ung zu tun hatte.
»I wo«, entgegnete Gründgens, seufzte und begann, sich die Schläfen zu m assieren. »Der ist einfach umgekippt, ohn m ächtig geworden, m itten in meinem schönsten W utausbruch. Tut m ir ja leid, aber habt Ihr das Bühnenbild gesehen ? «
Robert und Hel m ut runzelten pflichtschuldigst die Stirn und dachten nach. Auf der Bühne war die Dekoration für einen bis ins Detail konstruierten Salon der Jahrhunder t wende zu bewundern gewesen, eher zu üppig als zu sparsam ausgestattet, und eine Reihe von Statuen und Ge m älden, die aussahen, als ob Sch m idt sie direkt aus dem Museum en t liehen hätte, schienen eigentlich viel zu gut für Attrappen. Auf ihre ratlosen Mienen hin erklärte Gründgens: »Es ist für den vierten Akt. Meine Ster b eszene!«
Robert begriff und begann zu grinsen. Gründgens zog eine Gri m asse.
»Genau. Es ist viel zu gut. Sch m idt hat Shaws Anweisungen über all die W erke, die Dubedat um sich herum aufgest e llt hat, praktisch wörtlich genom m en. Das Publikum wird hingerissen sein, aber von dem Bühnenbild, nicht von m ir, und noch die Details bewundern, während ich dabei bin zu sterben. Ganz zu schweigen davon, daß die Scheinwerf e r sich in d e r Lasur von all den S t atuen widerspiegeln werden. Das gibt ein Feuerwerk v o n Lichtern um m i ch heru m , und m ich sieht m an überhaupt nicht m ehr. Das ist geradezu ein Attentat auf m i ch. Der Mann will m i ch ruinieren!«
»Gustaf«, sagte Robert, nahm sich den einzigen freien Stuhl i m Raum und setzte sich rittlings darau f , »du hast K rauß als Fa u st nic h t nur überlebt, sondern siegreich in die Ecke gedrängt, du überstehst jede Menge langweiliger E m pfänge unseres Reichs m arschalls, und dann läßt du dich von solchen K l einigkeiten wie Lichtreflektionen und Dekorationsüberschuß beeindrucken ? «
Sie kannten sich m ittlerweile recht gut, und Gründgens war nic h t so aufgeregt, daß er Ro b erts Besuch m it Hel m ut Holpert im Kielwasser für eine Höflichkeitsvisite geh a lten h ätte. Er besaß i n zwischen Übung dari n , zu m erken, wann je m and etwas von ihm wollte.
» W orum g e ht es dies m a l ? « fragte er resigniert.
»Hel m ut b r aucht ein E ngage m ent. Dringend. Du kennst ihn, du weißt, wie g ut er ist.«
»Ja. Ich weiß auch, was Anfang dieses Jahres m i t m ein e m S e kret ä r passierte, der, entschuldige, Helmut, ebenfalls halbjüdischer Herkunft ist. Er wurde von der Gestapo verhaftet. Göring hat ihn da wieder herausgeholt, und er konnte zu Verwandten nach Süda m erika e m igrieren, aber n icht, bevor ich den Hinweis erhielt, daß m ein W ohltätigk e itss p ielraum f ür die s es Jahr aufgebraucht sei. Versteh m i ch nicht falsch, ich finde hier etwas für He l m ut, und wenn es als zweite Besetzung ist, aber seien w i r ehrlich, du fragst m i ch nicht nur, weil er Arbeit sucht, sondern w e il ich bei Göring und seiner Frau einen Stein im Brett habe. Der i s t nicht unbegrenzt nutzbar, Robert, und kann auch ins Gegenteil u m schlagen. Ich kann für nie m and e n m ehr garantieren.«
Das Theater am Gendar m en m arkt unter s t a n d als pre u ßisches Staatstheater dem preußischen M i ni ster p räsi d enten, Her m ann Göring, im G e gensatz zu allen and e ren Theatern, die in den Machtbereich des Ministeriums für Prop a ganda und Kultur fielen. Diesem besonderen U m stand und der Tatsache, daß er über Görings zweite Frau, die Schauspielerin Em m y Sonne m ann, die Bekanntschaft des Reichs m arschalls ge m a c ht hatte, verdankte Gründgens seine Ernennung zum Intendanten, obwohl Goebbels ihn verabscheute, oder vielleicht auch gerade des w egen, denn die Rivalität zwischen Goebbels und Göring war selbst in den Zeit e n gesteuerter N achrichten allge m ein bekannt. Seither galt das Theater am Gendar m enmarkt nicht ganz zu Unrecht als eine Art R e fugium vor den Restriktionen des nationalsoziali s ti s chen Alltag s ; Gründgens k o nnte Regis s eure wie Jürgen Fehling beschäftigen, die vom Reichsdra m aturgen als Kulturbolschewisten beschi m p ft wurden, er fragte bei seinen Sc ha uspielern und Bühnentechnikern nicht nach der Abstam m u ng, und er inszenierte keine Werke der neuen Blut-und-Boden-Literat u r. Aber er war kein Heiliger und nicht blind g e genüber dem U m stand, daß er auf einem dünnen Seil balancierte. Göring konnte ihn jederzeit fallenlassen. Dann stand er
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