Unter dem Zwillingsstern
daß nichts Schlimmeres m e hr geschehen konnte, verschaffte ihm i mmerhin ein paar Stunden Schlaf in der Nacht. Trotzdem ertappte er sich dabei, bei seinen Heimfahrten manch m al anzuhalten, irgendwo am Straßenrand, und stundenlang über dem L e nkrad zu grübeln. Zu Beginn der zweiten N ove m berwoche begann er, statt langsam gelegentlich zu schnell zu fahren, so schnell, wie der Zustand der Straße es zuließ. Es b r achte ihm häufiger wütendes Hupen von anderen Autofahrern ein, aber in gewisser W eise half es. Am Abend des neunten Nove m ber unternahm er eine dieser i m provisierten Spritztouren, für die sein Opel Oly m pia ei g entlich nicht geeignet war, als eine Lastwagenkolonne i h m die Vorf a hrt nah m . Er konnte gerade noch rechtzeitig bre m sen. D i e Kolonne blieb nicht der einzige ungewöhnliche Verkehrsteilneh m er. Etwas weiter in Richtung Innenstadt fuhren gleich m ehrere Polize i autos an ihm vorbei. Et w as m ußte geschehen sein, ein größeres Unglück. Ein Brand, ver m utete er, obwohl die Lastzüge nicht wie F e uerwehrwagen gewirkt hatten.
Seine Unwissenheit hielt nicht m ehr lange an. S chon bald traf er auf die erste Menschen m enge, die sich um ein in der Tat brennendes, größeres Gebäude versammelt hatte. E i nige Uni f or m i erte waren dort, m achten je d och keine Anstalten, d ie Flam m en zu löschen, im Gegenteil, einer von ihnen warf eine F ackel in den Teil des Gebäudes, der noch nicht brannte. Etwas weiter vorne wurden Fenster eingeschlagen, sowohl von Unifo r m i erten als auch von Leuten in Zivilkleidung. Er kurbelte sein Fenster h e runter und konnte nun die einzelnen Worte der Rufe und Lieder v er s tehen, die i n m itten der Geräusche von knackenden Balken und zerbrechendem Glas zu hören waren:
»Saujuden!« »Juda verrecke!« »Wenn der Stur m soldat ins Feuer zieht,/ Dann hat er frohen Mut,/ Und wenn das J udenblut vom Messer spritzt,/ Dann geht’s noch m al so gut…«
W i eder überholte ihn ein Lastwagen. Robert wurde eiskalt. E r zerbrach sich den Kopf nach He l m uts Adresse, und einen Mo m ent lang schien es, als sei sie ihm entf a llen, dann kam die Erinnerung zurück. Die W ohnung lag nicht allzuweit e n tfernt. W e i t genug für den Mo m ent. Er ignorierte eine Einbahnst r aße und fuhr, so schnell er konnte, dorthin. Unterwegs entdeckte er, d a ß es kei n en Unterschied m achte, wo He l m ut wohnte. W as auch immer in Berlin geschah, es breitete sich m it W indeseile in der gesa m ten Stadt aus, und m ehr als ein m al sah er aus den Augenwinkeln, wie auf protestierende Menschen, die aus ihren Häusern gezerrt wurden, eingeschlagen wurde.
Vor dem Mi etshaus in der Isold e nstraße stand nie m and, und er nahm sich nicht die Zeit, sich u m z uschauen, ob je m and schon auf dem W eg dorthin war. Er sprang aus d e m Wagen, stellte m it Erleichterung fest, daß die Haustür nicht versperrt war, und rannte die Treppen bis zum vierten Stock hoch, wo He l m ut wohnte. Sein energisches Pochen und Klingeln holte je m anden an die Tür, aber er hörte schon am Schritt, daß es nicht Helmut war; Hel m ut hatte im Theater am Gendar m enmarkt Dienst und in dieser Nacht vielleicht das Glück, die Rolle von Werner Krauß überneh m en zu dürfen. Die Klappe des Gucklochs verschob sich.
»Es ist besser, wenn du gehst, Robert«, sagte Dr. Gold m anns Stim m e müde.
»Martin, m ach die Tür auf, oder i c h tr e t e s i e e i n, das schwöre ich dir! Es ist w ichtig!«
Er fürchtete einen Mo m ent, seine Drohung wahr m achen zu m üssen, was ihm nicht leichtfallen würde. Er hatte noch nie Türen eingetreten, aber erle b t , wie s i ch ein S t atist, der es versucht hatte, bei den Dreharbeiten verletzte. Es sah nur im f ertigen Film leicht aus. Zum Glück ließ es Dr. Gold m ann nicht darauf ankommen. Er e ntriegelte das Schloß und die Sicherheitskette, trat zurück und schaute zur Seite, als Robert eintrat.
»Pack deine Sachen«, sagte Rober t , »oder besser, laß es sein, nimm nur deinen Mantel, und zieh dir Schuhe an. Ich weiß nicht, wie schnell sie hier sein werden, aber wir m üssen hier weg!«
Das brachte Dr. Gold m ann dazu, ihn anzusehen. Ver w irrung m i schte sich in den Sch m erz.
» W en m einst du ? «
»Auf jeden Fall die SA. W ahrschei n lich auch di e Gestapo, u nd einen Haufen freundlicher Zeitgenoss e n, die sich nur allzugerne beteiligen. Dada, in Berlin i s t die Hölle lo s , also komm m it!«
»Aber…«
»Keine Diskussion.« Eine
Weitere Kostenlose Bücher