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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Glück war die Schublade offen, denn der Generalschlüssel paßte nicht für Möbelschlösser.
    Karl wanderte mit dem Zeigefinger die diversen Eintragungen des Tages entlang. Der Oberpage beobachtete ihn über die Schulter. »Was suchst du, Karl?«
    »Einen Posten über den Verkauf einer Kiste Champagner Marke Veuve Cliquot. – Aber ich finde nichts.«
    »Laß mich mal!« sagte Mandelbaum, setzte seine Lesebrille auf und schob Karl weg.
    Wie Karl ging er Posten für Posten durch, schaute auch auf die Seiten der Vortage. »Nee – ich kann auch nichts finden. Zwölf Witwen , hast du gesagt?«
    »Zwölf oder sechzehn, so genau kenne ich mich mit den Kistengrößen nicht aus.« Karl zupfte den Oberpagen am Revers. »Ich glaube, Erwin, wir haben ein ziemlich ekliges Problem hier im Haus.« Dann erzählte er, ohne Einzelheiten zu nennen, von Kassners SA-Verstrickungen.
    »Das schlimme an der Sache ist«, Mandelbaum ballte die Fäuste. »Er ist beileibe nicht der einzige im Haus, der mit den Nazis sympathisiert. Er ist bloß der mit der größten Schnauze. – Ich bin jedenfalls wie ein Flitzbogen gespannt, wie L. A. morgen reagieren wird, wenn du ihm Bericht erstattest.«
    »Ich auch!« sagte Karl. »Ich auch!«
    Sie legten das Bon-Buch in die Schublade zurück und verließen den Kellerkomplex. In der Küche mußte eine Bestellung eingegangen sein. Der Koch hantierte am Grill, der Gehilfe wusch einen Salatkopf. Ganz in ihre Arbeit vertieft, bemerkten die Köche auch nicht, wie Karl und Mandelbaum die Kellertreppe wieder hochstiegen und an der Kabine des Küchenchefs vorbei auf den Serviergang traten.
    Mandelbaum zog den Mantelgürtel nicht durch die Schnalle, sondern schlang einen lockeren Knoten. Es war ein heller Kamelhaarmantel mit dunkelbraunem, breitem Revers. Der Gürtel hatte die gleiche Farbe.
    »Und nun?« Er hängte den Kleiderbügel in das Garderobenspind. »Wollen wir in der Friedrichstraße noch auf ein Bier?«
    »Heute ist ungünstig«, sagte Karl und entnahm seinem Schrank eine Aktentasche. In der Tasche befand sich ein frisches Oberhemd und sein Rasierzeug. Seife und Handtuch gab es vom Hotel. »Hab Frühschicht. Ich bleibe gleich im Haus.«
    Er begleitete Mandelbaum zur Rezeption, wo der den Passepartout in einem zu Händen von Herrn Generaldirektor L. Adlon adressierten Briefkuvert abgab. Karl wurde der Schlüssel zu einem der Zimmer ausgehändigt, in denen auch die Dienstboten der Hotelgäste untergebracht waren.

15.
    S VEN H EDIN, H OLTSEN UND R ANDHUBER BESICHTIGEN EINE BUDDHISTISCHE K ULTSTÄTTE IM B ERLINER N ORDEN
    Die Stimme, die »Herein!« sagte, war weiblich und befehlsgewohnt. Hedda Adlon war kleiner, als es das Foto auf Louis Adlons Schreibtisch vermuten ließ. ›Die Aufnahme‹, dachte Karl, der der Frau Generaldirektor gegenüberstand, ›ist mehr als reichlich geschönt.‹ Hätte man sie auf dem Bild als vollschlank bezeichnen können, so ließ Hedda Adlon in natura nur noch das Urteil fett zu.
    »Mein Mann hat mir von Ihnen vorgeschwärmt, Herr Meunier.«
    Karl verbeugte sich stumm.
    »Er hat gesagt, Sie hätten Grips.« Sie musterte ihn eingehend von Kopf bis Fuß. »Er hat Sie da gestern auf eine Sache angesetzt. Berichten Sie!«
    ›Jemand, dem das Wort ‚bitte‘ nur schwer über die Lippen kommt‹, dachte Karl und war von der Frau Generaldirektor sofort wenig angetan. ›Ein Drachen, wie er im Buche steht. Armer L. A.!‹
    Hedda Adlon nahm in dem Schreibtischsessel ihres Gemahls Platz, bot Karl keinen der Besucherstühle an. »Ich höre, Herr Meunier!«
    ›Die Ziege kriegt mich nicht klein‹, dachte Karl und räusperte sich.
    Hedda Adlon unterbrach Karls Bericht nur einmal, als Karl die Rede auf Joseph Goebbels brachte.
    »Sind Sie sicher, daß er es war?« fragte sie scharf.
    »Ganz!« erwiderte Karl und setzte seinen Bericht fort.
    »Herr Mandelbaum ist die Belege auch noch einmal mit aller Sorgfalt durchgegangen: kein größerer Warenausgang an Veuve Cliquot in den letzten drei Tagen«, schloß Karl.
    Hedda Adlon nickte kurz. »Irgendein Zettel in der Registrierkasse im Weinladen? Vielleicht hat ein Stammkunde anschreiben lassen.«
    »Ich habe das vorhin überprüft«, sagte Karl.
    Heddas Frage fiel wie ein Schwerthieb. »Und?«
    »Kein eigentlicher Ausgangsbeleg«, sagte Karl. »Bloß …«
    »Ja?«
    »In der Kladde, wo die Speditionsvorgänge notiert werden, hat jemand mit grüner Tinte zwölf Flaschen Bruch eingetragen. Kassner benutzt grüne Tinte. Natürlich war die

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