Unter den Linden Nummer Eins
den Radikalen bei der nächsten Wahl eine klare Absage erteilen«, sagte Karl.
»Wahlen, Wahlen! Alle reden immer nur von den Wahlen. Damit erledigt man diese Brüder doch nicht. Die verstehen bloß eine Sprache.«
»Die da wäre?«
»Man muß sie mit allen Mitteln bekämpfen.«
»Auch mit Gewalt?«
»Auch mit Gewalt, falls nötig. Unsere Regierung versucht es mit Papier. Kiloweise Verbote und Erlasse en masse , an die sich keiner hält, weil unsere Polizei und Justiz zu schwach sind, sie zu forcieren. Da zum Beispiel, der Mann mit dem Schlapphut am Fenster! Sein NSDAP-Parteiabzeichen vermag ich von hier aus ohne Brille zu erkennen. Und darauf steht eindeutig Haft oder Geldstrafe!« Die Serviererin brachte den Cognac und die heiße Schokolade: »Ist einer von Ihnen Herr Möhnjeh?«
»Ich.«
»Da ist ein Herr für Sie am Telefon. Ein Herr Gall …«
»Galgon?«
»Ja, das war der Name. Er möchte mit Ihnen sprechen.«
Karl erhob sich. »Sie entschuldigen mich für einen Augenblick, Herr Professor?«
»Gehen Sie nur, Karl, gehen Sie nur.« Blum nippte an seinem Getränk. »Ich versuche, mich in der Zwischenzeit wieder abzuregen.«
Karl folgte der Serviererin. »Hajo?« Karl zog die Tür der verglasten Kabine hinter sich zu.
»Ja, ich bin’s. Du, Karl! Ich probiere schon den ganzen Tag, dich im Adlon zu erreichen, aber du hattest frei, sagte man mir.«
»Dienstags meistens«, sagte Karl. »Wo steckst du?«
»Ist was Dringendes dazwischengekommen. Bin schon gar nicht mehr in Berlin.«
»Das hör ich sehr wohl am Rauschen.«
»Ich bin in Hamburg. Morgen geht es mit einem neuen Flugzeugtyp weiter nach Skandinavien und dann rüber nach Island und Grönland. Mit Udet. Wir testen die Maschine auf Langstrecke.« Hajo hüstelte. »Für die Lufthansa.«
»Aha«, sagte Karl. »Für die Lufthansa, soso!«
»Tut mir leid, alter Knabe, daß ich dich versetzt habe, aber es ging wirklich nicht anders. Am meisten bedauere ich, daß ich dir nicht behilflich sein kann, diesem Schweinehund von Kassner auf die Schliche zu kommen.«
»Ich raff das schon alleine, sei unbesorgt, Hajo. Meld dich auf jeden Fall, wenn du wieder einflatterst.«
»Versprochen. Und grüß mir unseren alten Hauptmann. Der ist doch wenigstens gekommen?«
»Ja, der ist da. – Mach ich!« sagte Karl und legte auf.
Professor Blum hob fragend die Augenbrauen. »Herr Galgon, aus Hamburg und weiter auf dem Weg nach Norden. Er läßt Sie grüßen.«
»Danke. Sie sagten neulich, er ist bei der Fliegerei geblieben?«
»Offiziell arbeitet er für die Lufthansa.«
Blum nickte. »Hab da einiges munkeln hören, wie die Reichs wehr die Bestimmungen des Versailler Vertrages umgeht. Die Russen sollen sehr kooperativ sein und auch die Schweden.«
»Inwieweit?«
»Nun – Geld stinkt bekanntlich nicht. Gegen entsprechend Kasse darf die Reichswehr dort neue Waffen testen. Ich weiß das, weil ein anderer von meinen ehemaligen Leutnants in der Nähe von Göteborg Panzermotoren weiterentwickelt. Es sind vorgeblich schwere landwirtschaftliche Zugmaschinen. Wenn Galgon mit Udet unterwegs ist, handelt es sich mit Sicherheit nicht nur um eine Angelegenheit der zivilen Luftfahrt.«
»Vermutlich haben Sie recht«, sagte Karl.
Professor Blum zog eine goldene Taschenuhr aus der Uhrentasche seiner Weste und ließ den Verschlußdeckel aufspringen. »Wird langsam Zeit, daß ich den Heimweg angehe, sonst macht sich meine Frau womöglich Sorgen um mich.«
»Meinen Sie? Sie weiß doch, daß Sie sich mit mir getroffen haben?«
»Das schon, aber nach dem Vorfall heute in der Universität will ich sie nicht unnütz in Aufregung versetzen. Ich habe ihr versprochen, gegen zehn zurück zu sein, und mein Versprechen möchte ich gerne halten.« Blum signalisierte der Bedienung, daß er zahlen wollte.
»Geht alles diesmal auf meine Rechnung, Herr Professor. Wo ich doch wieder in Lohn und Brot bin. Meine Buchte am Rosenthaler Platz kann ich aufgeben. Habe zum Frühjahr was Nettes in Pankow gefunden. Zwei annehmbare Zimmer, Südseite, erster Stock mit Balkon.«
»Das freut mich für Sie, Karl, daß es mit Ihnen aufwärtsgeht.«
»Wurde auch langsam Zeit«, sagte Karl.
An der Caféhaustür drehte sich Blum um und zog den Hut. Karl hob grüßend die Hand. Im Zeitungsständer steckten auch ausländische Gazetten. Karl holte sich die Times . Punkt halb elf beglich er die Rechnung, Cognac, zwei Schokoladen und ein Mineralwasser, und zog seinen Mantel an. Zur Abwechslung schneite es
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