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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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wieder dicke, weiche Flocken. Karl schlug den Mantelkragen hoch. ›Taxi lohnt nicht‹, dachte er und lief los. ›Ist noch genug Zeit. Bis er die Abrechnung fertig hat, bin ich längst am Auto.‹
    »Dienstag abend«, hatte der Generaldirektor gesagt, »hat er Spätdienst. Er vertritt Obier, der zu einer Weinprobe nach Bremen fährt, bis zum Wochenende.«

14.
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    Der rostbraune Opel stand an der von Louis Adlon beschriebe nen Stelle gegenüber der Weinhandlung. Im obersten Stockwerk der britischen Botschaft brannte überall Licht. Es herrschte kaum Verkehr.
    »Das Schloß der Fahrertür schließt von außen nicht. Sie müssen über den Beifahrersitz klettern und sie von innen entriegeln«, hatte Louis Adlon gesagt. »Passen Sie bloß auf, daß man Sie nicht für einen Autodieb hält, wenn Sie in dem Wagen herumturnen!«
    Diese Möglichkeit konnte Karl getrost ignorieren, die nördliche Wilhelmstraße lag wie ausgestorben. Karl setzte sich hinter das Steuer. Binnen weniger Minuten waren die Scheiben beschlagen, und Karl wischte sich ein Guckloch.
    Um fünf Minuten nach elf ging in der Weinhandlung das Licht an. Wenig später stand Kassner vor der Ladentür und stellte eine Kiste auf den Bürgersteig. Er ging in den Laden zurück, das Licht erlosch bis auf die Notbeleuchtung im Schaufenster. Ein Streichholz flammte auf. Kassner war trotz der Kälte ohne Kopfbedeckung. Er zündete sich eine Zigarette an. Dann sah Karl, wie sich die Glatze des Kellermeisterassistenten über die Ladentürklinke beugte. Wahrscheinlich schloß er ab. Von den Linden näherte sich ein Taxi. Kassner trat auf die Fahrbahn und streckte den Arm aus. Das Taxi hielt. Die Innenbeleuchtung wurde angemacht. Im Fond hinter dem Chauffeur saß eine männliche Gestalt. Das Gesicht vermochte Karl nicht zu erkennen. Der Mann wandte ihm den Hinterkopf zu und schien das Schaufenster der Weinhandlung zu betrachten. Der Fahrer stieg aus und entriegelte den Kofferraum für Kassner, der die Kiste hineinstellte – eindeutig eine notdürftig mit Packpapier umwickelte Champagnerkiste – und sich dann nach hinten zu dem Mann setzte. Als der Fahrer die Tür zuzog, schaute der Mann geradeaus, und Karl konnte ihn im Profil sehen. Es war Baron de Neva.
    Karl stieß einen leisen Pfiff aus. ›Sieh mal einer an‹, dachte er. ›Jetzt bin ich aber sehr gespannt, wie es weitergeht!‹
    Das Taxi setzte sich in Bewegung, Karl startete, scherte aus, wendete und folgte der Droschke in gemäßem Abstand: Voßstraße, Leipziger Straße, Prinz-Albrecht-Straße und dann nach links eingebogen in die Kochstraße, dann Moritzplatz, Oranienplatz, Heinrichplatz, hinter dem Spreewaldplatz wieder nach links, über die Schlesische Straße hinüber: irgendeine Nebenstraße an der Spree mit vielen Gewerbe- und Industriegrundstücken, aber auch mit vereinzelten Wohnhäusern.
    Das Taxi fuhr an einer Ziegelsteinmauer entlang und stoppte vor einem mehrstöckigen Mietshaus. Über der Toreinfahrt zu den Gewerbehöfen hingen Reklameschilder. Das größte besagte, daß der Kohlenplatz Becker jun. u. Partner sich im dritten Hof befand.
    Karl fuhr an dem Taxi vorbei und um die nächste Straßenecke. Er sprang aus dem Wagen. An der Straßenecke stand eine Litfaßsäule. Karl stellte sich hinter die Säule und schob vorsichtig den Kopf um die Ecke. Das Taxi hupte mehrmals. Eine Gaslaterne beschien die Szene gelblich. Drei Männer lösten sich aus dem Schatten der Toreinfahrt und schlenderten auf das Taxi zu. Die hohen Lederstiefel glänzten selbst bei der trüben Gasbeleuchtung. Als Kassner aus dem Wagen stieg, nahmen die Männer Haltung an und rissen den rechten Arm hoch. Sie ließen die Arme in der Luft, bis der Baron – Kassner war um das Taxi gerannt und hatte ihm die Tür aufgehalten –, bis Baron de Neva den Gruß erwiderte. Kassner zeigte auf den Kofferraum. Einer der Gestiefelten ergriff die Champagnerkiste und hob sie sich auf die Schulter. Er verschwand als erster im Torbogen. Die beiden anderen Männer flankierten Kassner und den Baron und geleiteten sie bis zur Toreinfahrt. Dort postierten sie sich rechts und links, schlugen die Hacken zusammen und rissen erneut die Arme in die Höhe. Kassner und der Malteser verschwanden in dem schummrigen Halbrund des Torbogens. Die beiden Gestiefelten stellten sich nebeneinander vor die Einfahrt, gespreizte Beine, Arme über der Brust verschränkt.
    Karl ging zum Wagen und stieg ein. Die

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