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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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aber gehörig!«
    Vera beugte sich zu Karl hinunter und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. »Stimmt! Ich will aber trotzdem wissen, was Benno gesagt hat.«
    Karl grunzte wohlig und kreuzte die Arme unter dem Kopf. »Ich glaube, ich hab Kassner endlich am Arsch. Er hat dem Oriental zehn Kisten Champagner zum Vorzugspreis versprochen. Angeblich ein Direktimport über seinen Vater.« Er hustete trocken. »Dabei gibt es das Geschäft in Schwerin schon seit Jahren nicht mehr! – Na, egal! – Er will jedenfalls noch diese Woche liefern, vermutlich weil im Adlon Hochbetrieb wegen der Wahlvorbereitung herrscht und alles noch ein bißchen unübersichtlicher ist als sonst. Von Papen hält täglich Hof, Schleicher wuselt auch andauernd mit seiner Gefolgschaft herum. Gestern kam Göring mit seiner Leibgarde reingeschneit. Alle in SS-Uniform. Die Nazis residieren natürlich wieder im Kaiserhof .« Mit Bitterkeit dachte er daran, daß Schleicher und von Papen das Uniformverbot wieder aufgehoben hatten, um Hitlers Tolerierung zu erkaufen. »Kassner hat neulich verlauten lassen, daß die Zeit nicht mehr fern sei, wo die Pagen im schmucken HJ-Aufzug ihren Dienst versehen würden.«
    Vera machte eine abfällige Handbewegung. »Das wird man ja sehen!« Sie riß einen Grashalm aus und kitzelte Karl. »Karl?«
    »Ja?«
    »Du hast mir erzählt, in letzter Zeit würden die Abrechnungen vom Keller und Weinladen übereinstimmen.«
    »Das ist richtig. Es hat nichts mehr gefehlt. Der Kellermeister hält auch ein scharfes Auge auf Fretzel. Aber irgendwie wird der die Sache schon für Kassner zu drehen versuchen. Kassner braucht nämlich Geld. Er hat sich ein Auto zugelegt, und da werden die Spesen, die er aus der Parteikasse bekommt, kaum ausreichen.«
    »Arm scheinen die Nazihäuptlinge nicht gerade zu sein. Im Oriental fallen sie gleich pulkweise ein. Und der Laden ist ja nicht gerade billig.«
    »Ein dezentes Kuvert hier, ein Blankoscheck da. Hajo hat mich aufgeklärt. Die NSDAP sammelt sogar im Ausland. Holtsen ist nicht knickerig, und er ist nur einer von vielen, der sie unterstützt.«
    »Dieser fiese Fettkloß! Sitzt fast jeden Abend direkt vor der Bühne und glubscht mich mit feuchten Augen an.«
    »Holtsen? – Nee, Vera, nee!« Karl lachte. »Vor dem bist du sicher. Der geiert bloß schon auf die Nummer nach euch. Auf euren ägyptischen Jongleur in dem hautengen Trikot. Nee, Holtsen, der steht auf Herrenärsche. Weiß ich noch von Erwin. Er hatte ihn einmal in einem Schwulenpuff am Alex beobachtet.«
    »Na trotzdem: Danke schön! Neulich haben sich Kassner und Randhuber vollaufen lassen. Benno mußte beide zum Taxi schleifen.«
    »Wie verhält sich eigentlich Kassner dir gegenüber? Ich meine, er weiß doch, daß wir uns kennen.«
    »Ich sehe ihn bloß von der Bühne aus.« Sie verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Als er neulich im Gefolge von Goebbels auftauchte, hat Goebbels uns durch den Chef bestellen lassen, daß er unsere Show umwerfend fand. Brrr! – Wenn der Hinkefuß uns gut findet, wird Kassner sich vermutlich nicht aus dem Fenster lehnen wollen.« Sie steckte sich den Grashalm zwischen die Lippen und nuschelte: »Sagst du Louis Adlon, daß da was im Busch ist?«
    »Ob ich was?«
    Vera spuckte den Grashalm aus und wiederholte ihre Frage.
    »Ach so! Ob ich … Klar! Ich habe ihn gleich angerufen, nachdem ich mit Benno gesprochen hatte. L. A. informiert in diesem Augenblick den Kellermeister.«
    »Kannst du dem trauen?«
    »Obier kann Kassner nicht riechen.«
    »Na, hoffentlich schnappt ihr ihn dieses Mal.«
    »Verdient hätte es das Schwein, bei Gott!« Karl starrte in den Himmel. »Weißt du, manchmal denke ich, daß er es war, der die Schläger auf Erwin gehetzt hat.«
    Vera gab ihm einen Rippenstoß. »Laß uns von was anderem reden, Karl, sonst werde ich traurig.«
    Karl streichelte ihr Haar. »Hast recht. Erzähl mir, was für eine neue Nummer ihr plant. – Kannst du überhaupt Rollschuh laufen?«
    Das Abendbrot war formlos. Jeder bediente sich nach Gusto. Auf dem Tisch standen ein Teller mit Wurstbroten und eine Schale Radieschen, dazu gab es Malzkaffee. Mutter Binder stopfte Strümpfe, ihr Mann und Theo Höhne spielten Dame. Hans hielt ein Nickerchen im Liegestuhl. »Zuviel Bier«, konstatierte Mutter Binder trocken. Vera und Karl machten den Abwasch. »Für unterwegs«, sagte Mutter Binder und gab ihnen ein Stullenpaket und ein Glas Eingemachtes mit. Birnenkompott.

27.
    S CHACH UND P

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