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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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ATT
    In den Tagen unmittelbar vor der Reichstagswahl ging es in der großen Halle des Adlon wie in einem Bienenstock zu. Journalisten aller Herren Länder waren angereist. Viele wohnten im Adlon . Bis auf die Führer der linken Parteien tauchte fast jedes bekannte Gesicht aus Politik und Wirtschaft auf, und sei es für Minuten. Bernardo Mattezze, der Berlinkorrespondent verschiedener faschistischer Zeitungen, folgte Heinrich Himmler wie ein Hündchen. Der Reichsführer SS trug ausnahmsweise Zivil und sah aus wie ein humorloser Oberlehrer. In der Bar tranken Göring und Holtsen Sekt, Randhuber assistierte tüchtig. Baron de Neva und der italienische Botschafter tuschelten im Goethe-Garten. Schleicher war von einer Gruppe hoher Reichswehroffiziere umringt. Von Papen wurde ans Telefon gebeten. Karl sah Ernst Udet und Hajo im Gespräch mit Görings Privatsekretär.
    »It is going rough!« Einer der amerikanischen Reporter, der Dauergast im Haus war, schürzte die Lippen.
    »It definitely is!« Karl entdeckte endlich Louis Adlon. »Excuse me, I think, I have spotted my boss!«
    »Go ahead, Mister Charles. But how about a drink at the bar one of these days?«
    »Anytime you wish. But as for the moment …«
    »Go ahead man, we all have to earn our bread.«
    Karl bahnte sich höflich, aber entschieden seinen Weg durch eine Gruppe diskutierender Ministergattinnen und stellte sich neben den Generaldirektor, der gerade dabei war, sich von Hindenburgs Adjutanten zu verabschieden. Die letzten Tage waren ausgesprochen heiß in Berlin gewesen, nicht bloß politisch. Der Sommer versprach, ein Rekordsommer zu werden. Dem Direktor standen winzige Schweißperlen auf der Stirn. Äußerlich war er die Ruhe selbst. Nur seine Wangenmuskeln flackerten unaufhörlich; für Karl ein untrügliches Zeichen, daß Louis Adlon enorm angespannt war.
    Als der Adjutant gegangen war, betupfte sich L. A. mit einem Taschentuch die Stirn. »Lassen Sie uns für einen Augenblick in mein Büro gehen, Meunier.«
    Der Generaldirektor ließ sich in den Schreibtischsessel fallen. »Ich habe Fretzel heute morgen fristlos gekündigt. Er hat striktes Hausverbot. Er hat dem Spediteur den Champagner quittiert, aber die Lieferung nicht überprüft. Es fehlten zehn Kisten.«
    »Und Kassner?«
    »Er ist wieder mal aus dem Schneider. Fretzel hat alle Schuld auf sich genommen.«
    »Das kann doch nicht möglich sein! Kassner hat im Oriental die Ladung angeboten!«
    »Das zu beweisen wird schwerfallen, mein Lieber. Tatsache ist, die Lieferung hat das Haus nie erreicht. – Aber bezahlt habe ich sie!«
    »Wer war der Spediteur?«
    »Der übliche, Harms und Söhne .«
    Karl ballte die Fäuste. »Ich krieg das raus, Herr Generaldirektor!«
    Louis Adlon schaute Karl ernst an. »Meinen Segen haben Sie. Aber seien Sie vorsichtig. Kassner hat …«
    » Kassner hat einflußreiche Freunde . Pardon, Herr Generaldirektor, daß ich Ihnen ins Wort falle, aber ich kann diesen Satz, mit Verlaub, nicht mehr hören. Kassner ist ein … ein …«
    »Sprechen Sie es ruhig aus, Meunier, er ist ein mieser, krimineller Emporkömmling. Ein Geschäftsfreund hatte ihn mir empfohlen. Es war ein Kardinalfehler, ihn ins Haus zu nehmen. Ich weiß. Trotzdem rate ich Ihnen, umsichtig vorzugehen. Seine Freunde sind dafür bekannt, daß sie ihre Ziele höchst skrupellos verfolgen.«
    Karl nickte bedächtig. »Ich hätte dennoch eine Idee …«

28.
    K ARL VERSPRÜHT SEINEN C HARME AN EIN ÄLTERES F RÄULEIN
    Obier hatte sie Karl genau beschrieben: »Viel Vergnügen, mein Lieber, det is ’ne harte Nuß!«
    Luise Schwandt war die Seele von Harms und Söhne . Karl wartete, bis die anderen Bürofräulein zu Tisch gegangen waren, dann klopfte er an. Speditionsbüro . Eine Schreibmaschine tackerte, verstummte. »Bitte!« Die Schreibmaschine ratterte weiter. Karl räusperte sich. Endlich geruhte die spindeldürre Gestalt mit den zentimeterdicken Brillengläsern den Eindringling zu beachten. Fräulein Schwandt trug einen Dutt. Wenn Fräulein Schwandt nicht die Tasten bearbeitete, las sie theosophische Bücher. Ein Werk von Madame Blavatzky lag neben der Maschine. Ihr Kleid hätte einen bußfertigen Flagellanten entzückt. Aschgrau. Neben dem Buch stand eine Untertasse, darauf lag eine angeknabberte Möhre. »Ja bitte, Sie wünschen?«
    Karl setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Fräulein Schwandt?«
    Fräulein Schwandt nickte hoheitsvoll und skeptisch.
    »Ach so! – Natürlich! – Wie unhöflich von mir.«

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