Unter den Linden Nummer Eins
waren, und rief Lilo an.
Lilo Fleischer hörte sich am Telefon an, als hätte sie Reißnägel in der Kehle. »Mit mir wird es noch eine Weile dauern, bis ich wieder auf den Beinen bin«, krächzte sie.
Karl wünschte gute Besserung und hoffte inständig, daß er nicht jeden Tag zwei Schichten aufgebrummt bekäme.
Randhubers Diner fand ebenfalls im Bankettsaal statt. Holtsen war nicht der einzige schwedische Bankier, der daran teilnahm. Mirow hatte mehrere Finanzgewaltige vom Flugplatz Tempelhof abgeholt. Der prominenteste von ihnen war Direktor Marcus Wallenberg junior.
Unter den Gästen des IG-Farben-Diners entdeckte Karl auch wieder Ernst Udet und Hajo. Während die Herren dinierten, rief er Vera im Oriental an. Holtsen hatte ihn gebeten, dort Tische für den späten Abend zu reservieren.
Weder Holtsen noch die anderen Schweden sollten an diesem Abend die neue Rollschuhnummer der Venduras bestaunen. Ein anderes Ereignis zog die Hotelgäste bis in die Nachtstunden in seinen Bann.
Gegen neun Uhr rannte Pleschke, der Portier, in die Lobby und rief: »Der Reichstag brennt!«
Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile im Adlon . Alles stürzte auf die Straße.
Karl stand inmitten einer wachsenden Menschenmenge auf dem Pariser Platz. Aus allen Richtungen verstärkte sich das Geheul von Sirenen.
Die Kuppel des Reichstags glühte hellrot, dann zerplatzte sie. Der ungeheure Sog des Feuers stieß brennende Balken, Mobiliar und Holztäfelungen wie Funken aus einem Kamin. Mannschaftswagen mit aufgesessener, marschmäßig ausgerüsteter Bereitschaftspolizei rasten, vom Präsidium am Alex kommend, durch die mittlere Durchfahrt des Brandenburger Tors.
Der Generaldirektor erschien in Begleitung von Klempert und dem Portier. Louis Adlon stellte sich neben Karl und beobachtete stumm das Inferno hinter der Nordfront des Pariser Platzes. Überhaupt sprach kaum jemand ein Wort. Wie gebannt starrte die Menschenmenge auf die immer höher schlagenden Flammen. Karl bemerkte Fräulein Plinz aus der Telefonzentrale, wie sie suchend durch die Reihen der Schaulustigen ging. Er winkte ihr. Sie hatte trotz der Kälte keinen Mantel übergezogen.
»Gott sei Dank, Herr Generaldirektor! Da sind Sie ja!«
»Ja?« Zu Karl gewandt, murmelte L. A.: »Fast hätte ich gesagt: Wo brennt es denn?«
»Ein dringender Anruf für Sie!« Fräulein Plinz zog die Schultern hoch und umklammerte bibbernd ihre Oberarme. »Aus der chinesischen Botschaft. Ich glaube, der Herr Botschafter war persönlich am Apparat. Er bat mich inständig, Sie zu holen. Ich habe ihn in der Leitung gelassen.«
Louis Adlon preßte die Lippen aufeinander und nickte. »Danke, Fräulein Plinz! Aber nun machen Sie hinne, daß Sie sich nicht den Tod holen!« Zu Karl sagte er: »Kommen Sie bitte mit, Meunier! Ich ahne, daß ich Ihre Hilfe brauchen werde!«
Louis Adlon bat Karl, in der Telefonzentrale zu bleiben, und ließ sich das Gespräch auf sein Büro stellen. »Geben Sie acht, daß sie nicht mithört!« flüsterte er Karl zu.
Fräulein Plinz hatte schon vor Wochen ihren Namen auf Kassners Liste gesetzt.
Fünf Minuten später rief Louis Adlon Karl in sein Büro. »Wie erwartet, Meunier. Ich brauche Ihre Hilfe. Sie kennen doch den Taxifahrer, der die Nazis nicht ausstehen kann. Könnten Sie versuchen, ihn jetzt zu erreichen?«
»Versuchen kann ich es. Ich habe die Telefonnummer von seinem Schwiegervater. Ihm gehört die Droschke.«
»Bestellen Sie dem Mann, daß er sich hundert Mark verdienen kann, wenn er bis morgen früh abrufbereit bleibt. Er soll vor der Weinhandlung parken, bis man ihn braucht.«
Der Generaldirektor schob ihm das Telefon über den Schreibtisch. Karl blätterte in seinem Adreßbuch. Er hatte Glück.
Der Finne war selber am Apparat. »Hundert Mark? Dafür warte ich, falls nötig, bis übermorgen! … Nein, der Wagen ist besser in Schuß denn je, wir haben einen neuen Motor eingebaut … Ja, ich fahre stante pede los!«
»Er macht es«, sagte Karl.
»Ausgezeichnet!« sagte Louis Adlon und griff nach dem Hörer. »Herr Klempert, stimmt es, daß Doktor Kränzlein gleich nach dem Diner abgereist ist?«
»Ja, Herr Generaldirektor!«
»Dann belegen Sie bitte das Appartement bis morgen auf keinen Fall neu. Ich erwarte eventuell ein Familienmitglied. Das Zimmermädchen war schon drin?«
»Ja, sofort nach der Abreise vom Herrn Doktor.«
»Gut, schicken Sie mir bitte den Schlüssel jetzt mit der Rohrpost hoch! Meunier wird sich um alles kümmern, falls
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