Unter den Linden Nummer Eins
privat hielten sie es anders. Göring, der ein Faible für operettenhaft ordenbespickte Uniformen hatte, über den der Volksmund dichtete: »Rechts Lametta, links Lametta, und der Bauch wird immer fetter!«, Göring, Himmler und Rosenberg, sie alle luden von Zeit zu Zeit ins Adlon ein. Bloß Goebbels war ein frugaler Esser. Seine kulinarisch dürftige Tafel in Lanke oder auf Schwanenwerder war gefürchtet. Ein Schauspieler, der oft Tischgast des Reichspropagandaministers war, vertraute Karl an, daß er meistens vorher eine kräftige Mahlzeit zu sich nahm, um, wie er es ausdrückte, »nicht im Machtzentrum zu verhungern«.
Hans hatte in Schweden geheiratet. Er schrieb: »Täglich treffen neue Flüchtlinge aus Deutschland ein. Was mir ein ehemaliger Reporter vom Vorwärts über seine Haft in Oranienburg berichtet hat, mochte ich erst gar nicht glauben. Und Oranienburg ist beileibe nicht das einzige Konzentrationslager im Reich. Es tummeln sich hier aber nicht bloß politisch Verfemte. Ich arbeite ja wieder als Maurer. Neulich war ich mit meinem Meister eine Woche lang in einer Landhausvilla am Vänernsee, um einen Schornstein auszubessern. Die Villa gehört der Göteborg Industri Kreditanstalt . In der Zeitung stand, daß diese Bank viel Geld in Deutschland investiert hat. – Als wir ankamen, parkten zwei Diplomatenwagen vor dem Haus. Ich kann dir sagen, mir ist ganz mulmig geworden, als ich dann gesehen habe, wer da alles ein und aus gegangen ist. Die reinste Parade der Goldfasane! Immer schön zackig die Achseln gelüftet und geheilt ! Aber mir können sie bald nichts mehr, die verdammten Nazihunde. Nächstes Jahr werde ich einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Vielleicht komme ich dann als schwedischer Staatsbürger zur Olympiade. – Ich kann sogar schon auf schwedisch Witze erzählen!«
17.
D IREKTOR H OLTSEN PLANT EINE A BENDGESELLSCHAFT
Karl machte seine Runde durch das Erdgeschoß und betrat die Adlon -Bar. Ein Gast hatte die Vermutung geäußert, dort im Gedränge von einem Taschendieb bestohlen worden zu sein. Im Moment war es ruhig in der Bar. Karl grüßte ein paar Stammgäste, unter ihnen Direktor Holtsen, der gerade ein Glas Linie Aquavit auf ex trank.
»Gut, daß ich Sie treffe!« Er bot Karl den Barhocker neben sich an. »Womit kann ich Sie beglücken? Sekt? Cognac?«
»Herzlichen Dank, aber falls es Sie nicht enttäuscht: Ein starker Kaffee wäre mir lieber. Meine Nacht ist noch lang.«
»Das entschuldigt Sie zur Genüge, lieber Meunier. – Henry? Bitte einen Mokka für Herrn Meunier!«
Henry zauberte in Rekordzeit ein dampfendes Mokkatäßchen vor Karl, Holtsens Trinkgelder verliehen jedem Barmann Flügel.
»Ich denke, ich werde in den nächsten Tagen endlich meine Gesellschaft geben. Ich rede zwar schon seit Jahren davon, aber bisher kam tatsächlich immer etwas dazwischen. Wie sagt doch gleich der weise Volksmund: ›Was lange währt, wird gut!‹ – Also, eine kleine vorolympische Feier für ausgesuchte Geschäftsfreunde schwebt mir vor.«
Karl schüttelte den Kopf, als Henry das silberne Sahnekännchen neben die Tasse stellte. »Wo beabsichtigen Sie, das Fest abzuhalten? Im Bankettsaal?«
»Nein. Es soll eine relativ intime, aber hochkarätige Feier werden. Ich dachte an den Wintergarten. Wenn das Wetter mitspielt, kann man das Glasdach wegschieben.« Holtsen schnappte mit den Fingern.
Henry sagte: »Jawohl, Herr Direktor!« und griff nach der Aquavitflasche.
Karl rührte einen Löffel Zucker in den Mokka. »Wie viele Personen erwarten Sie?«
»Um die zwanzig. Und dann natürlich die verschiedenen Herren von der Sicherheit.«
Karl zog fragend die Augenbrauen hoch.
Holtsen lächelte. »Herr Goebbels wird seine eigenen Leute mitbringen, Herr Göring ebenfalls. Selbst Doktor Randhuber hat neuerdings einen ständigen SS-Begleiter, seit er den Direktorenposten bei der Reichsbank angetreten hat.«
»Doktor Randhuber ist zur Reichsbank übergewechselt? Das wußte ich nicht.«
Holtsen spielte mit dem Aquavitglas. »So? – Nun, Doktor Randhuber hat das Devisenressort dort übernommen.«
»Das hört sich nach einer sehr wichtigen Position an.«
»Für die Pläne der Regierung ist es von größter Wichtigkeit, daß wegen Olympia ständig genügend Reserven an ausländischer Währung vorhanden sind – aber das nur am Rande. – Nein, Meunier, weshalb ich eigentlich mit Ihnen reden wollte, hat folgenden Grund: Der Herr Reichspropagandaminister ist wiederholt im Oriental gesehen
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