Unter den Linden Nummer Eins
worden. Durch seinen Referenten habe ich erfahren, daß er das Programm von Herrn Ruella sehr schätzt.«
»Das hat sich auch zu mir herumgesprochen, Herr Direktor.«
Holtsen lächelte vielsagend. Veras Liaison mit Karl war den Stammgästen des Oriental kein Geheimnis.
Karl lächelte zurück. ›Von wegen Programm‹, dachte er, ›der Bock von Babelsberg ist auf Doris scharf!‹
Seit dem Winter hatten die Venduras eine erfolgreiche orientalische Akrobatiknummer im Programm, eine Art Chinesentanz in wehenden, recht durchsichtigen Gewändern. Bei ihrem Solo hatte Goebbels ostentativ »Bravo« gerufen und frenetisch geklatscht. Später hatte er ihr Blumen in die Garderobe geschickt.
»Eine orientalische Akrobatiknummer anläßlich meiner Feier würde nicht bloß Herrn Goebbels erfreuen. Doktor Hedin könnte sich geradezu auf einen turkmenischen Basar zurückversetzt fühlen.«
»Doktor Hedin? Sie meinen Sven Hedin, den Asienforscher?«
»Genau den! Er soll bei den Olympischen Spielen eine Ansprache an die Jugend der Welt halten und konferiert deswegen morgen mit Herrn Goebbels. – Sie wissen vermutlich, daß Doktor Hedin das Ohr des Führers hat?«
»Ich habe es wiederholt der Zeitung entnommen«, sagte Karl.
»Tja«, sagte Holtsen. »Zufällig sind wir mit derselben Maschine angereist. Doktor Hedin wird also der Ehrengast meiner Gesellschaft sein.«
»Ich verstehe«, sagte Karl. »Und mein Part ist vermutlich, den Auftritt der Geschwister Vendura einzufädeln?«
Holtsen nickte und zückte die Brieftasche. »Wir haben uns also verstanden?«
Auch wenn bislang keine ausgesprochen sommerlichen Temperaturen herrschten, die Berliner Nachtschwärmer ließen es sich nicht nehmen, im Freien vor den Cafés zu sitzen, es sei denn, es regnete in Strömen. Die schmiedeeisernen Holzkohlebecken zwischen den Stuhlreihen korrigierten das Mikroklima der Boulevards hinreichend.
Karl wartete im neuen Kranzler am Kurfürstendamm auf Vera und beobachtete amüsiert einen Kollegen aus dem Hotel Esplanade , der eine Gruppe beturbanter dicker Inder durch das Berliner Nachtleben führte. Sie schlenderten Richtung Westen. Er ahnte, wo der Bummel enden würde: Japaner schätzten Olgas Divan , Loreleitas hießen dort die großbusigen Damen; Touristen aus nördlicheren Gefilden fühlten sich in Gabis Blaue Grotte wohl, denn Gabis feurige Südländerinnen vermittelten Herrn Furu aus Oslo oder Herrn Mølgaard aus Århus mediterrane Illusionen; Inder und Araber hingegen bevorzugten die noblen Etablissements mit Bauchtanz am Olivaer Platz und Umgebung. Die Bordelle dort trugen poetische Namen: Zedernhain der Königin von Saba, Granatapfeldivan und Betörender Rosengarten der Huris .
Zwei Frauen am Nebentisch waren zur Spätvorstellung im Zoo Palast gewesen. Sie hatten sich Wenn wir alle Engel wären angeschaut. Eine der Frauen, sie trug eine strenge Frisur, die an BDM erinnerte, schwärmte wie ein Backfisch für Heinz Rühmann.
Karl hatte den Film mit Vera und Hajos Eltern in Braunschweig gesehen, als sie zum wiederholten Mal im Elmvorland zu Besuch gewesen waren. Die Galgons waren wohlhabende Bauern, die das einzige Automobil des Dorfes besaßen. Sie waren zwar stolz, daß ihr Sohn und Alleinerbe als Flieger militärische Karriere machte, hätten es aber insgeheim besser gefunden, wenn er sich mehr für Landwirtschaft interessiert hätte. Hajo war neuerdings ganz in der Nähe stationiert. Er war Kommandant der neugegründeten Heeresfliegerschule Mariental bei Helmstedt geworden.
Das Gehöft in dem Dreihuntert-Seelen-Weiler Barnstorf, im Viereck angelegt wie ein Wehrhof und von uralten Linden umstanden, war für die Großstadtpflanzen Karl und Vera eine ländliche Bilderbuchidylle. Es gab Kühe, Pferde und überhaupt alle nur denkbaren Haustiere. Die Hündin hatte Junge gehabt, vier freche Setterwelpen, und Vera hätte sie am liebsten alle mit nach Berlin genommen.
An einem Sonntag hatten sich die Galgons feingemacht und ihnen Braunschweig gezeigt. Karl und Vera hatten endlich eine Gelegenheit gefunden, sich für die erwiesene Gastfreundschaft erkenntlich zu zeigen. Sie hatten die Galgons zum Essen in den Gewandhauskeller eingeladen und waren anschließend mit ihnen ins Kino gegangen. Auch Hajos Mutter hatte sich wie die Frau am Nachbartisch für Heinz Rühmann begeistert.
Das war im Frühjahr gewesen. Knappe vierzehn Tage hatten sie Urlaub machen können, aber im nachhinein erschien es Karl, als hätten sie Wochen in Barnstorf
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