Unter den Linden Nummer Eins
Dienstmarken vor.
»Es gibt wahrscheinlich keine belebte Gegend in der Stadt, wo die nicht ständig herumkrauchen«, sagte Karl. »Auf dem Pariser Platz sind es mindestens immer vier von den Brüdern. – Der Flugblattverteiler hat Glück gehabt, daß er nicht geschnappt worden ist.«
Der Geschäftsführer überredete die Frauen und die Polizisten, die Anzeige in seinem Büro aufzunehmen.
»Na dann auf ein fröhliches Fest der Völker !« Angewidert schaute Vera ihnen nach. Sie trank ihre Schokolade aus und erhob sich. »Ich muß jetzt wirklich gehen, sonst ist meine Bahn weg.« Karl umarmte sie. »Wann hast du wieder frei?«
»Erst nach dem Adlon -Auftritt.«
Vera war kaum zehn Minuten weg, als der Adlonsche Mercedes vor dem Kranzler hielt. Karl zahlte. Die Zivilpolizisten hatten Verstärkung erhalten. Deren knarrende Schuhsohlen mischten sich unter die nächtlichen Flaneure.
18.
K UNSTNEBEL IM W INTERGARTEN
Der Mann, der mit Kassners Hilfe SA-Obersturmbannführer Dinkel beseitigt hatte, stellte sich zum ersten Mal mit Namen vor. Sein dunkler Tweed-Anzug war von untadeligem Sitz.
»Burmeister«, sagte er. »Gestapo-Dezernat Personenschutz. – Herr Meunier, nehme ich an?«
Karl begutachtete den Dienstausweis und nickte. »Ich vermute, Sie wollen mich wegen Direktor Holtsens Feier sprechen?«
»Eine reine Formalität. Herr Adlon hat mich an Sie verwiesen. Direktor Holtsen war so freundlich, uns die Liste der geladenen Personen zukommen zu lassen. Angesichts der vielen prominenten Banketteilnehmer haben wir uns entschlossen, besondere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. – Sie verstehen?«
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Wir haben offen gestanden ein kleines Problem. Der Wintergarten kann von oben eingesehen werden. Wir möchten ein paar Leute in einem Zimmer über dem Glasdach einquartieren. Herr Adlon sagte, sie hätten einen Generalschlüssel und könnten mir geeignete Räumlichkeiten zeigen.«
»Am besten begeben wir uns in den Wintergarten, und Sie sagen mir dann, welche Zimmer Sie belegen wollen.«
Sie gingen zum Fahrstuhl. Burmeister hatte tadellose Manieren. Er ließ Karl den Vortritt.
Hedda Adlon würdigte Karl und dessen Begleiter keines Blicks, als sie den Wintergarten durch die Glastür betraten. Sie stand wie ein Monolith auf einem rechteckigen Podest, das von einem schweren Perserteppich bedeckt war. Faß-Rüdiger und ein anderer Hausarbeiter schleppten Messingkübel mit ausladenden Fächerpalmen und Orangenbäumchen herbei und stellten sie vor die Glaswand, die den Winter- vom Goethe-Garten trennte. Neben dem Podest stand ein Konzertflügel.
Hedda Adlon dirigierte das Gewimmel der Kellner, die eine lange Festtafel vor dem Podest deckten, wortlos mit den Augen. Nicht die klitzekleinste Unachtsamkeit entging ihrem kritischen Blick. Vasen wurden um Zentimeter verrückt, Servietten auf Kante gelegt, Messerbänke exakt parallel zu Tischkanten ausgerichtet.
Mißmutig betrachtete sie einen schwarzen Metallkasten neben dem Flügel. Sie winkte Faß-Rüdiger zu sich. »Was ist das für ein Monstrum?«
»Det is die Nebelmaschine, Frau Jeneraldirektor.«
Hedda Adlon spitzte den Mund. »Wie bitte? Eine Nebelmaschine ?«
»Na, wejen der Akrobatinnen. Die Kiste pustet Nebel uff det Podest, wenn die Mädels mit ihrer Nummer bejinnen, wie im richtijen Theater.«
Hedda Adlon starrte den Kasten an und sagte: »Das Ding ist spukhäßlich. So kann das nicht bleiben. Holen Sie einen von den Paravents aus dem Café !«
»Jawoll, Frau Jeneraldirektor!«
Der Oberkellner brachte die Tischkarten. Hedda Adlon stieg vom Podest, verteilte sie auf der festlich eingedeckten Tafel und rauschte aus dem Wintergarten.
Burmeister beugte sich interessiert über den Kasten und betastete einen herabhängenden Gummischlauch. »Wie funktioniert der Apparat?«
»Soweit mir bekannt ist, bläst ein Ventilator Trockeneispartikel durch den Schlauch.«
»Hm … Bevor die Gäste eintreffen, würde ich mir diesen Nebelwerfer gerne einmal vorführen lassen.«
»Es ist ein Standardgerät, das es in jedem Theater gibt.«
»Ach ja?« Burmeisters Lächeln war gewinnend, aber seine Augen verrieten ihn. Freundlich sagte er: »Ohne eine vorherige Überprüfung dieser Maschine wird es nachher keinen Kunstnebel geben. Glauben Sie mir bitte!«
Obgleich sich seit Tagen keine Wolke über Berlin gezeigt hatte, hatte Burmeister darauf bestanden, das Schiebeglasdach vom Wintergarten zu schließen und zusätzlich ein Sonnensegel
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