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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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einander entweder anödeten oder sich ständig stritten. Vielleicht war es ja ganz gut, dass ihr dieses Schicksal erspart geblieben war.
    Die Kapelle spielte einen Tusch, ein Conférencier erschien und kündigte das Programm des Abends an. Nach ein paar sensationellen Nummern international renommierter Künstler, die heute alle im Zeichen des Karnevals stünden, würde »Bel de Nuit«, der Star des Theaters, sie in ein Reich der Sinne entführen, in eine Welt explodierender Farben, betörender Düfte und lustvoller Rhythmen.
    Caro und Marie sahen sich an. Dann kicherten sie plötzlich beide drauflos. Das Einzige, was Caros Meinung nach heute Nacht explodieren würde, war sie selber, und zwar vor Lachen. Sie beherrschte sich noch knapp, aber viel fehlte nicht mehr.
    Bei den ersten Nummern verflog ihre alberne Stimmung wieder. Sie waren gewöhnlich und langweilig, und sie hatten nicht das Geringste mit Karneval zu tun, außer dass der Muskelprotz sich eine brasilianische Flagge umgehängt und sie wie eine Tunika über einer Schulter zusammengeknotet hatte. Caro gähnte bereits und war kurz davor, das Theater zu verlassen, als endlich die vielgepriesene Sängerin auftrat. Um die Stimmung im Saal anzuheizen, in dem sich einige Brasilianer befanden, trug sie als Erstes ihren einzigen Hit vor, »Frutas Doces«.
    Caro wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Die Wirkung, die eine Melodie auf das Gedächtnis hatte, war ihr noch nie so aufgefallen wie jetzt: Mit dem Lied, das im Karneval 1926 überall gespielt worden war, kehrten augenblicklich Erinnerungen an eine schwüle Nacht und an eine fiebrige Begegnung mit António zurück, die sie verdrängt zu haben glaubte.
    »He, das kenne ich!«, rief Marie begeistert aus. »Lief das nicht damals andauernd, als wir in Rio waren?«
    »Ja«, antwortete Caro, die Mühe hatte, ihre Tränen zurückzuhalten.
    »Weinst du? Hast du plötzlich einen Anfall von Heimweh, oder was ist los?«, fragte Marie.
    »Nein, ich habe nur gegähnt. Und die Luft hier drin ist auch nicht gerade die beste.«
    Die Künstlerin legte jetzt einen hinreißenden Samba hin.
    »Sie ist toll, oder?«, fragte Maurice in die Runde hinein.
    »Ja, ganz nett«, fand auch Fernando.
    Die Frauen nickten zustimmend, obwohl es allen dreien lieber gewesen wäre, die dunkelhäutige Dame hätte nicht ganz so laszive Posen und nicht ganz so viel von ihrem knackigen Fleisch gezeigt.
     
    Dass auf der Bühne das Mädchen stand, deren Vater ihre Hochzeit ruiniert hatte und mit dem sie um ein paar Ecken verwandt war, ahnte Caro nicht. Selbst wenn sie sie persönlich gekannt hätte, so hätte sie Bel unter den dicken Schichten von Schminke und unter dem ausladenden Früchte-Hut nicht wiedererkannt. Umgekehrt hatte Bel keine Ahnung, dass da die ehemalige Braut von einem ihrer Peiniger saß, die Tochter von Dona Vitória, von der ihr Vater wiederum behauptete, sie sei seine Tante. Von der Bühne aus sah sie nur ein Meer aus schwach beleuchteten Gesichtern. Sie sah weiterhin, dass das Publikum langsam in Wallung kam. Und sie sah aus dem Augenwinkel, wie Augusto seitlich der Bühne stand und beide Daumen hochreckte. Sie musste über sein idiotisches Papageienkostüm lachen, in dem er begeistert auf und ab hüpfte, und baute ihr strahlendes Lächeln in die Darbietung mit ein. Er hatte es geschafft. Sie hatten es geschafft. Der Saal tobte.
    Nur eine Person saß, überwältigt von ihren Erinnerungen, einsam in der Menge und konnte sich dem allgemeinen Jubel nicht recht anschließen.

40
    L eón schrieb an seiner Kolumne und wünschte nicht gestört zu werden. Er reagierte empfindlich darauf, wenn ihn jemand aus seiner Konzentration riss. Aber das war Vita in diesem Moment herzlich egal. Sie stürmte in sein Arbeitszimmer und rief: »Diese Hexe! Diese gemeine, hinterlistige, niederträchtige Hexe!«
    »Vita«, stöhnte León auf und legte entnervt den Füllfederhalter beiseite. Er schrieb alle Texte von Hand, mit modernen Schreibmaschinen hatte er sich nie anfreunden können.
    »Weißt du, was sie gemacht hat?«
    »Woher sollte ich? Von wem ist überhaupt die Rede?«
    »Von meiner Mutter, dieser bösen, durch und durch garstigen, heimtückischen …«
    »Sie ist tot, Vita. Reg dich nicht so auf.«
    »Ich rege mich aber auf. Diesmal ist sie zu weit gegangen.«
    »Dein Zorn wird sie in ihrem Grab zu Tode ängstigen.«
    »Hör auf mit deinen dummen Witzen. Das Ganze ist überhaupt nicht komisch.« Vita ließ sich in den Besuchersessel fallen und

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