Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
unser Sklave, Herrgott noch mal!«
    »Das war er«, warf Leon ein. »Dennoch floss auch deines Vaters Blut in seinen Adern, wodurch er dein Halbbruder war.«
    »Dann wäre Felipe auch nur mein Halbneffe, wenn überhaupt. Und einen Beweis gibt es dafür nicht.«
    »Außer seine blauen Augen, die den deinen nicht unähnlich sind.«
    »León, mäßige dich. Immerzu geht deine Phantasie mit dir durch. Es gibt viele Mischlinge mit hellen Augen. Die wirst du doch nicht alle als meine Verwandten betrachten, oder?«
    »Ich verstehe gar nicht, was daran so schlimm sein soll. Immerhin war Felix ein guter Mann, Fernanda ist eine hochintelligente und tüchtige Frau, und ihre Kinder haben all die guten Eigenschaften der beiden geerbt. Felipe zum Beispiel hat aus dem kleinen Schreibwarenladen seiner Eltern ein richtiges Imperium aufgebaut. Er ist reich geworden mit dem Import hochwertiger Druckmaschinen und von Geräten, die die Druckbogen schneiden, falzen und heften. In Brasilien werden knapp 80  Prozent der Zeitungen und Magazine auf Maschinen gedruckt, die Felipe den Verlagen verkauft hat.«
    »Du bist wieder einmal überraschend gut informiert.«
    »Einmal Journalist, immer Journalist.«
    »Nimm es mir nicht übel, León, aber ich hege den starken Verdacht, dass du dieses Wissen nicht deiner professionellen Neugier verdankst.«
    »Sondern?«
    »Sondern dem Umstand, dass du mit diesen Leuten mehr privaten Umgang pflegst, als mir recht sein könnte.«
    »Vita, Vita.« León schüttelte den Kopf, wie man es bei einem unbelehrbaren Kind tun würde. »Du magst im Laufe der Jahre Macht und Geld angehäuft haben, und du magst dich in die Angelegenheiten aller Menschen in deiner Umgebung einmischen. Aber sag mir nicht, mit wem ich Umgang pflegen darf und mit wem nicht.«
    »Das tue ich ja auch gar nicht. Ich weiß schließlich, dass du gegen alle noch so vernünftigen Ratschläge immun bist.«
    »Sicher.«
    »Und ich weiß um deine merkwürdige Neigung, die Gesellschaft von Leuten zu suchen, die – wie soll ich sagen? – die …«
    »… unter meinem Niveau sind?«
    »Ich hätte es nicht besser formulieren können.«
    »Hast du dich schon einmal gefragt, ob sich diese ›Neigung‹ bereits bei der Auswahl meiner Ehefrau geäußert haben könnte?«
    »Nein. In der Hinsicht hast du erstaunlicherweise einmal guten Geschmack bewiesen – was man umgekehrt nicht behaupten kann.«
    »Du bist und bleibst eine Hexe, meine schöne Sinhazinha.«
    »Und du bist und bleibst ein Scheusal.«
    Den Rest ihrer Heimfahrt setzten sie schweigend fort. Beide wussten, dass es ab diesem Punkt in ihrem Gespräch nur noch schlimmer werden konnte. Und beide fragten sich zum bestimmt tausendsten Mal, wieso sie einander so sehr verletzten.
    Es gab nur eine einzige schlüssige Erklärung. Es musste Liebe sein.

4
    F elipe da Silva schlenderte noch ein wenig durch die samtene Nachtluft und versuchte, seinen Zorn auf diese unmögliche Person zu zügeln. Sein Vater, Felix da Silva, hatte von Dona Vitória nur Gutes zu berichten gewusst – einer Frau, wohlgemerkt, deren Sklave er gewesen war. Sie habe ihn immer anständig behandelt, so wie die ganze Familie des Kaffeebarons immer gut zu ihren Sklaven gewesen sei. Felipe konnte diese Denkweise absolut nicht nachvollziehen. Allein die Tatsache, dass man seine Vorfahren ihrer Freiheit beraubt hatte, machte alle vermeintlich »guten« Taten null und nichtig. Noch viel weniger jedoch konnte er begreifen, wie ein León Castro, einst ein umjubelter Held im Kampf um die Abschaffung der Sklaverei, sich eine solche Frau zur Gemahlin hatte nehmen können. Bestimmt war Dona Vitória eine große Schönheit gewesen, Spuren davon ließen sich in ihrem Gesicht noch immer erahnen. Doch äußere Schönheit allein war in seinen Augen vollkommen reizlos, wenn sie nicht einherging mit innerer Schönheit. Und davon, fand Felipe, besaß seine liebe
tia
nicht den kleinsten Funken, weshalb es ihm auch egal war, ob sie nun seine Tante war oder nicht. Er ärgerte sie nur gern.
    Am Paço Imperial, dem einstigen Stadtpalast des Kaisers, nahm er sich eine Motordroschke und ließ sich nach Hause fahren. Auch nicht gerade eine rosige Aussicht, dachte er. Immer öfter blieb er nach Feierabend noch in der Stadt, ging in ein Café oder, so wie heute, zu einer Filmvorführung. Und konnte man es ihm verdenken? Daheim erwarteten ihn seine arme alte Mutter, eine nörgelige Ehefrau sowie vier Kinder zwischen zwei und sechzehn Jahren. Seine

Weitere Kostenlose Bücher