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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich dann nicht erbarmte, ihn wenigstens anzuhören, würde er es bleibenlassen.
     
    Der Gärtner fand am nächsten Tag eine einzelne Rose im Vorgarten. Eine echte, wohlgemerkt. Sie war rot und langstielig, ihre Blüte hatte sich gerade erst geöffnet. Nur durch Zufall hatte er sie mitten in den üppig wuchernden roten Christsternen entdeckt. Wie diese floristische Rarität wohl in das Beet geraten war? Wer verlor einfach so eine Rose oder warf sie gar fort? Diese Blumen wuchsen nicht im tropischen Klima Rios, daher waren die aus dem Süden importierten Rosen kostbar. Er zögerte einen Augenblick, weil er nicht wusste, ob er sie seiner Herrschaft überreichen oder lieber seiner Frau mitbringen sollte. Er hatte die Rose schließlich entdeckt, oder etwa nicht? Dann überwog sein Pflichtbewusstsein, und er brachte seinen merkwürdigen Fund ins Haus. Dona Vitória war entzückt, gab ihm zur Belohnung eine Münze und stellte die Rose in eine hohe, schmale Vase. Doch als sie sich am selben Abend bei León für die extravagante Aufmerksamkeit bedankte – sie hatte angenommen, es sei seine Art, sich für ihren letzten Streit zu entschuldigen –, wusste dieser gar nicht, wovon sie sprach.
    Am folgenden Tag war es Don León, der auf ihrem Grundstück eine ähnliche Entdeckung machte, als er die Zeitungen aus dem Briefkasten holen wollte. Diesmal waren es zwei Rosen. Eine lag mitten auf der Kiesauffahrt, ihr Rot auf den weißen Steinen von leuchtender Intensität, die andere hatte sich in einem Farnbusch verfangen. Sehr sonderbar, dachte er. Ob vielleicht eines der Hausmädchen einen heimlichen und vor allem wohlhabenden Verehrer hatte? Normalerweise holte das Personal die Zeitungen herein, nur heute war er selber gegangen, weil er mit der Lektüre nicht bis zum Frühstück hatte warten wollen. Er stellte die Rosen zu der vom Vortag in die Vase. Später sollten er und Dona Vitória ausgiebig über diese Sache rätseln, wobei sich sogar Mariazinha an den Mutmaßungen beteiligte. Alle lachten herzhaft über die ausufernde Phantasie des Mädchens, das sich wilde Geschichten von Blumen abwerfenden Piloten ausdachte. Nur Ana Carolina blieb untypisch still.
    Am dritten Tag fand man drei Rosen. Eine entdeckte Ana Carolina selber, mitten auf dem Verdeck des Automobils ihrer Eltern. Die anderen beiden fand abermals der Gärtner, eine auf einem Haufen mit Gartenabfällen, eine kopfüber im schuppigen Stamm einer Palme.
    Und so ging es weiter. Vier Rosen am vierten, fünf am fünften Tag. Am siebten Tag endlich riss Ana Carolinas Geduldsfaden. Sie wusste längst, dass die Rosen nur von António kommen konnten. Wer außer einem Piloten hatte die Möglichkeit, täglich frische Rosen zu beschaffen? Und wer konnte sie auf ihr Grundstück befördern, das mit Mauern, Zäunen und einem Wachhund gut gesichert war, wenn nicht ein Pilot, der sie einfach über dem Haus abwarf? Es wunderte sie zwar, dass niemand ein Flugzeug gehört hatte, das nachts über ihnen kreiste, aber bestimmt gab es irgendeine vernünftige Erklärung dafür. Vermutlich konnte man den Motor einfach abstellen und noch eine Weile weitergleiten, so wie ein Auto ja auch noch rollte, wenn der Motor nicht mehr lief. Oder vielleicht war dieser Kerl auch wahnsinnig genug, mit einem Ballon oder einem Luftschiff über die Stadt zu fliegen.
    Einen Augenblick lang schloss Ana Carolina die Augen und gab sich dieser Vision hin: sie und António in inniger Umarmung in der Gondel eines Ballons, vom Mond beschienen, unter ihnen die zauberhafte nächtliche Kulisse mit den funkelnden Lichtern der Stadt, um sie herum eine Brise der süßen, warmen Tropenluft … Oh nein! Sie musste damit aufhören, sofort! Vor allem aber musste António aufhören, ihr nachzustellen. Es war wirklich schon peinlich, alle im Haus warfen ihr merkwürdige Blicke zu. Es fehlte nicht viel, und Dona Vitória würde ein ernstes Wörtchen mit ihr reden.
    Morgen, sagte Ana Carolina sich, morgen werde ich etwas unternehmen.
     
    Am Morgen jedoch lag eine unerklärliche traurige Stimmung in der Luft. Es waren keine Rosen gefunden worden. Nicht eine einzige. Der ganze Haushalt war untröstlich. Obwohl das Rätsel der Herkunft der Rosen bis jetzt nicht hatte gelöst werden können, hatte sich doch jeder seine Gedanken dazu gemacht, hatte sich verführen lassen von der Romantik des Ganzen oder sich zu Träumen hinreißen lassen. Alle, vom Hausherrn bis zur Küchenhilfe, sprachen mit verklärtem Blick von dem
mistério das

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