Unter den Sternen von Rio
erfuhr, dass am achten Tag keine Rosen mehr gefunden worden waren, atmete er dennoch erleichtert auf. Die ganze Geschichte war ja schon kurz davor gewesen, in den Bereich der Mythen abzudriften, zu einer Legende zu werden, die man später seinen Enkelkindern erzählen konnte. Es war höchste Zeit gewesen, dass der Spuk ein Ende nahm. Allerdings bestand durchaus noch die Gefahr, dass sich hässliche Gerüchte bildeten, dass man gar Ana Carolina einen heimlichen Liebhaber andichtete.
Da Henrique kein Mann war, der die Dinge gern dem Zufall überließ, traf er eine für ihn gänzlich untypische – weil hinterlistige – Entscheidung: Er würde in einem anderen Garten bei einer anderen hübschen Frau ebenfalls Rosen deponieren. Auf diese Weise würde die Geschichte eine unerwartete Wendung nehmen. Man würde die Schuld nicht mehr bei den betreffenden Damen suchen, sondern in dem Urheber der Aktionen einen seelenkranken Mann sehen, der unter einem Zwang handelte. So wäre außerdem sichergestellt, dass der echte Rosenkavalier sich niemals zu erkennen geben würde. Wer wollte schon als Irrer dastehen, der wahllos junge Damen mit Rosen überhäufte?
Der Blumenhändler am Mercado Central staunte nicht schlecht, als am Montagmorgen ein junger Mann bei ihm auftauchte und zwanzig rote Rosen kaufen wollte. Angesichts des Preises der Blumen musste es sich um einen sehr wohlhabenden Kunden handeln. Und einen etwas exzentrischen. Wer sonst würde wohl ein Vermögen in Blumen investieren, dabei aber in so mittelmäßiger Kleidung herumlaufen und den Eindruck vermitteln, ein ganz und gar solider Durchschnittsmann zu sein? Ts, verstehe einer die Reichen …
Henrique war geschockt, wie viel die Rosen kosteten. Aber er legte die verlangte Summe auf den Tisch, ohne mit der Wimper zu zucken. Er war zu allen Opfern bereit, wenn er nur Ana Carolina von jedem Verdacht reinwaschen und außerdem der Verzückung der Leute über das
mistério das rosas
Einhalt gebieten konnte. 17 Rosen waren als eine Art Entschädigung für seine Verlobte gedacht – acht für den achten, neun für den neunten Tag. Die anderen drei würde er heute und morgen bei einer gewissen Sofia Soares Pessoa ablegen. Er hatte das Grundstück ausgekundschaftet und zu seiner Erleichterung festgestellt, dass es weder großen Mutes noch athletischer Höchstleistung bedurfte, um sich Einlass zu verschaffen. Übermorgen würde er dann die sieben Rosen für die Tage drei und vier besorgen – möglichst bei einem anderen Händler, damit man ihm nicht auf die Spur kam. Er überschlug im Kopf die Summe, die ihn sein verwegener Plan insgesamt kosten würde. Es war viel mehr, als er erübrigen konnte. Ob er nicht vielleicht doch lieber etwas anderes … Nein! Er würde dieses Projekt jetzt durchziehen. Und da die Familie Soares Pessoa entfernt mit den Castro da Silvas bekannt war, würde es nicht lange dauern, bis man erkannt haben würde, dass der Rosenkavalier nichts weiter als ein Spinner war.
Und das war jeden Vintém wert.
11
E s regnete Bindfäden. Der Schauer war so heftig, dass man selbst beim Einlaufen in die Guanabara-Bucht, wenn man den Zuckerhut praktisch direkt vor der Nase hatte, so gut wie nichts davon sah. Enttäuscht steckte sie ihre Fotokamera wieder in die Hülle. Kein schöner Empfang, dachte Marie.
Während der Überfahrt hatten sie durchgehend gutes Wetter gehabt. In Frankreich waren sie unter einem winterblassen Himmel mit einer milchigen Sonne abgefahren, um dann auf dem Weg Richtung Spanien strahlenden Sonnenschein zu genießen. Der berühmt-berüchtigte Seegang in der Biskaya hatte sich als harmlos erwiesen. Von Portugal bis zu den Kanarischen Inseln war das Wetter herrlich geblieben und der Seegang ruhig. Der Fahrtwind blies allerdings zu kühl, um sich entspannt in einen Liegestuhl zu setzen und zu lesen. Das änderte sich, als sie die Kapverdischen Inseln und dann den Äquator passierten. Eine angenehm warme Brise streichelte ihre Haut, wenn sie auf dem Deck im Schatten saßen – was sie nicht allzu oft taten, denn sie und Maurice hatten als Frischvermählte anderes im Sinn.
Als sie schließlich die brasilianische Küste erreichten, etwa auf der Höhe von Recife, bewunderten sie aus der Entfernung die schier endlosen weißen Strände. Es war warm und keine Wolke weit und breit zu sehen. Ein wenig schadenfroh gedachte Marie ihrer Freunde, die in Paris saßen und sich mit Mützen, dicken Mänteln, Handschuhen und langer Unterwäsche
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