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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Erkenntnis, dass jemand »nichts dafür kann«, ist es möglich, vor Zorn und Frustration wahnsinnig zu werden. Geld, ständig ging es ums Geld, Geld in jedem Satz, Geld Tag und Nacht. Mein Vater verbrachte seine Zeit damit, Gräben und Schächte auszuheben, und verwandte das Geld, das wir nicht hatten, zum Kauf von Dynamit. Die Bewirtschaftung der Farm war ihm zu anstrengend, aber er konnte stundenlang hinter dem Haus stehen und Gesteinsproben sieben. Die Leidenschaft erwies sich als uneigennützig: Wenn ein umherziehender Goldschürfer eine abbaufähige Ader entdeckte und nur wenige Kilometer entfernt eine kleine Goldmine entstand, war mein Vater begeistert und fand sich sofort dort ein, um über Gesteins- und Bodenarten und Aufspürmethoden zu fachsimpeln. Die Farm lief weiter, irgendwie. Heute frage ich mich, warum meine Mutter, diese einmalig tüchtige Frau, die Farm nicht übernahm. Es gab Frauen im Distrikt, die eine Farm leiteten. Ich glaube, sie wollte die Selbstachtung ihres Mannes nicht untergraben. Unterdessen warf sie mir wütend nicht nur meine Selbstsucht, sondern auch meine Geldverschwendung vor. Warum steuerte ich das Geld, das ich an den Perlhühnern verdiente, nicht zum Haushalt bei? Das war Unsinn, und sie wusste es. Unsere Schulden bei Dardagan betrugen über hundert Pfund. Die Situation war festgefahren. Meine Mutter war eigentlich eine gütige, großzügige Frau, und sie hätte mich gern reichlich bedacht. Aber dieser Krieg hatte mit Geld nichts zu tun. Sie erinnerte mich an einen Vogel oder ein Tier, das sich gegen Gitterstäbe wirft. Sie erinnerte mich an ein zu kurz gekommenes kleines Mädchen. Sie tat mir abgrundtief leid, und gleichzeitig war ich außer mir vor Hass.
    Geld, warum gibst du so viel Geld aus, du weißt, dass wir kein Geld haben, du denkst an nichts und niemanden, bloß an dich …
    Während meine Eltern in Salisbury wieder einmal in der Land Bank saßen und ein demütigendes Gespräch über die Verlängerung ihres Darlehens führten, ging ich vor einem Möbelgeschäft in der Manica Road auf und ab und machte mir mit Allen Griffiths’ Brief Mut. Es waren typische Kaufhausmöbel, hochglanzpoliert und elegant, und in jedem Schaufenster lächelten mehrere lebensgroße Hausfrauen aus Pappe den Passanten aufmunternd zu, um zu zeigen, wie glücklich der Erwerb eines Tisches oder Stuhles sie gemacht hatte. Ich ging hinein und bat darum, zu Mr. Hemensley vorgelassen zu werden. Er war ein schlanker Mann mit Spitzbauch, der Hitze wegen in Hemdsärmeln, der Wirtschaftskrise wegen in Sorge. Ich sagte ihm, er habe keine Ahnung von Werbung, aber ich würde ihm Verse schreiben, die er jede Woche im
Herald
zwischen die Familienanzeigen setzen könne. Sie würden den Leuten ins Auge fallen. Auf diese Weise habe noch keiner Reklame gemacht. Er amüsierte sich über meine Dreistigkeit und wollte ein paar Proben sehen. Ich hatte einige in Mr. Griffiths’ Brief gelegt. Jeder Werbespruch endete mit der Aufforderung: Möbel von Hemensley in jedes Haus. Ich verlangte für jeden Spruch zehn Shilling, aber wir einigten uns auf sieben. Ein paar Jahre lang schüttelte ich jedes Mal, wenn ich Geld brauchte, ein paar Verse aus dem Ärmel und ging zu Hemensley, der mich zu Tee und Kuchen einlud und mich mit der Wehmut eines Mannes, der seiner Jugend bereits nachtrauert, nach meinem Leben ausfragte und zu »Tiggers« Geschichten lachte. Er sagte, meine Anzeigen hätten ihm Kunden gebracht. In den indischen Geschäften kosteten mich wirklich gute Baumwoll- und Musselinstoffe ein oder zwei Shilling der Meter. Für ein ordentliches Paar Schuhe brauchte ich zehn. Für eine gute Handtasche musste man ein Pfund bezahlen. Niemand trug Handschuhe oder Strümpfe.
    Das Geld von Hemensley half nicht gerade, die Dinge zu Hause ins Lot zu bringen. Jedes Kleid, jeder Rock, jeder BH war ein Nagel zum Sarg meiner Mutter. Und mittlerweile war es so weit gekommen, dass wir uns sogar über die Rassentrennung, die Eingeborenenfrage stritten. Das Problem war nur, dass ich keine Munition in Form von Fakten oder Zahlen hatte, sondern nur ein vages, aber hartnäckiges Gefühl dafür, dass an diesem System etwas grundsätzlich nicht stimmte. Warum arbeiteten zum Beispiel all diese Menschen für so wenig Geld auf unserer Farm? Im
Rhodesia Herald
konnte man bereits Leserbriefe finden, die mit »Commonsense« oder »Fairplay« unterschrieben waren und die Meinung vertraten, dass die Eingeborenen nur deshalb leistungsschwach seien,

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