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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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entdeckte nur selten schwarze Gesichter in dieser Straße, denn es war eine Gegend für arme, weiße Leute. (Nicht die klassischen »armen Weißen« – diese Bezeichnung war den ganz armen Landwirten vorbehalten, meist Afrikaander, die in ländlichen Elendsgebieten lebten.) Außerdem gab es einige indische Geschäfte mit grellbunten Auslagen davor.
    Stanley stellte den großen, teuren Wagen ab und sagte mir, ich könne gern sitzen bleiben, er brauche nur eine Minute. Aber ich ging mit ihm hinein. Wir kamen in eine große, scheunenartige Halle voller Snookertische, dicht umstellt von Männern, die durch die Wirtschaftskrise arbeitslos waren. Weiter hinten im Raum befanden sich Tische, an denen Männer pokerten. An zwei Tischen wurde Siebzehnundvier gespielt. Dort standen stark geschminkte Mädchen in Abendgarderobe mit Veronica-Lake- oder Jean-Harlow-Frisuren und schoben mit langen, goldglänzenden Rechen Chips hin und her. Auch die Chips waren golden, wie die Gläser und die mit Goldpapier umwickelten Flaschen, mit denen Kunden an die Bar gelockt werden sollten. Man schenkte billigen Wein und Brandy vom Kap aus. Alle Männer wirkten abgerissen, trugen zu häufig gewaschene, dünn gewetzte, weiße Hemden und billige graue oder braune Hosen, einige hatten ein Cowboytuch um den Hals. Alle Frauen hatten sich mächtig in Schale geworfen, trugen Cocktail- oder Ballkleider. Auf ein paar Hundert Männer kamen vielleicht dreißig Frauen. Einst, so hatte Granny Fisher in einer Art und Weise verlauten lassen, die zu interessanten Erinnerungen hätte führen können, wenn nur jemand darauf eingegangen wäre, habe sie im Witwatersrand eine Spielhalle gehabt, aber sie sei von der Polizei geschlossen worden. Zunächst konnte ich Stanley nicht sehen, er war in einer Gruppe untergetaucht, die an der Bar würfelte. Aber an seiner flotten kakifarbenen Chauffeursuniform war er schließlich doch leicht auszumachen. Er blieb etwa zwanzig Minuten dort. Niemand beachtete das Mädchen im Baumwollkleid und in Sandalen, das an der Wand stand und dem von Tabakrauch und Alkoholgeruch ein wenig übel wurde. Als Stanley fertig war und zur Tür ging, machte er ein grimmiges Gesicht und deutete nur mit einem Nicken an, dass ich mitkommen sollte. Im Auto: »Ich hab nichts als Pech, einfach Pech, ich sag dir, Mann, es macht mich fertig.« Er erzählte mir, dass er abends nach Dienstschluss bei den Griffiths noch in einer Bar arbeite. »Bloß gut, dass Mabel nicht weiß, was ich treibe, aber ich muss doch leben, oder?« Sie sagten Mabel und Stanley, aber Mr. Griffiths und Stanley: Zu mehr reichte die Demokratie nicht.
    Mabel Griffiths machte ständig irgendwelche kleinen bissigen Bemerkungen darüber, wie schlecht ihr Mann zu ihr war.
    Eine Schwester von ihr lebte irgendwo in Südafrika.
    Später lernte ich auch sie kennen. Eine große Frau mit sehr kräftiger Gesichtsfarbe und »guter« Garderobe. Dies waren die Frauen, von denen mein Vater sagte, dass er sie nie hätte heiraten können, weil sie unhöflich zu Kellnern und Dienstboten seien. Sie behandelten mich beide herablassend, ohne es zu merken. Sie besaßen weder Stanleys Zartgefühl, der mich nicht ausdrücklich bat, niemandem zu sagen, wohin er mich mitgenommen hatte, noch die instinktive Herzensgüte von Mr. Griffiths, die ich wenig später zu spüren bekam. Während ich bei ihnen zu Besuch war, hatte er kaum ein Wort an mich gerichtet. Ich dachte, er hätte etwas gegen mich. Aber später schickte er mir aus dem fernen Johannesburg eine Schreibmaschine auf die Farm, eine hohe, laut klappernde Maschine, die so schwer war, dass der Koch, der sie in mein Zimmer trug, lachend so tat, als bräche er unter ihrem Gewicht zusammen.
    Dazu schickte mir Mr. Griffiths einen kurzen, trockenen Brief. Er habe als armer schottischer Junge angefangen und seinen Weg ganz alleine gemacht. Er wolle mir einen Rat geben. Ich solle so viel wie möglich lernen, egal was, irgendwann werde es sich als nützlich erweisen. Und da sei noch etwas. Junge Leute merkten oft nicht, dass die Welt voller Chancen für sie sei, wenn sie nur richtig Ausschau danach hielten. Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen, Allen Griffiths. Mit in dem Paket steckte ein
Writers’ and Artists’ Handbook
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    Ich fuhr nach Hause, glücklich, der Golden City entkommen zu sein. Meine Mutter war mit den Nerven ziemlich herunter. Heute bin ich erstaunt, dass es nicht schlimmer um sie stand. Auch damals wunderte ich mich. Trotz der

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