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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Daraufhin begann ich, dem Schlachter an Posttagen ein halbes Dutzend Perlhühner zu bringen, die ich in aller Herrgottsfrühe geschossen hatte. Ich lief im Halbdunkel hinunter auf die Felder, um sie zu erwischen, bevor sie zum Fressen aus den Bäumen geflogen kamen. Meine Mutter war außer sich. Sie tobte und schimpfte und wütete, aber sagte damit eigentlich nur: »Du entgleitest mir, du gehst fort, und ich sitze hier fest in diesem schrecklichen, armseligen Leben und werde nie von hier wegkommen.«
    In den Regalen bei Dardagan lagen stapelweise Ballen von Baumwollstoff und Leinen. Von dem Geld, das ich für sechs Perlhühner bekam, konnte ich mir Stoff für zwei Kleider kaufen. Ich zog meine flotten neuen Kleider an, und meine Mutter jammerte, dass ich in England noch ein Kind wäre und dass wir in einem entsetzlichen Land lebten, das Mädchen schon mit fünfzehn erwachsen werden lasse.
    Ich musste von zu Hause fort. Diesmal ging es nach Johannesburg, in die große Stadt im Süden.
    Als mein Vater noch jung war, hatte er in Norwich eine Zeit lang mit zwei Schwestern getanzt und geflirtet. Er sei in beide verliebt gewesen, behauptete er, aber noch mehr in ihre Mutter. Wenn er das sagte, schwangen in seinem Bedauern, seiner Ironie noch größere im Laufe der Zeit erlittene Verluste mit.
    Eines der Mädchen hatte einen vielversprechenden jungen Mann von der Bergwerkskammer geheiratet, der mittlerweile ein hochgestellter Verwaltungsbeamter war. Sie hatte meinem Vater einen Brief geschrieben, um sich in Erinnerung zu rufen, und darin bemerkt, dass ihr Mann nicht sonderlich zärtlich sei und, wie wir heute sagen würden, sich wenig aus Sex mache. Als mein Vater davon erzählte, schaute er meine Mutter, wie bei anderen vergleichbaren Geschichten, nicht an und sprach mit einer Trauer in der Stimme, in die sich eine nur schwer unter Kontrolle gehaltene Gereiztheit mischte, ein Protest gegen viel mehr als nur diese eine persönliche Entbehrung.
    Meine Mutter schrieb an die (nennen wir sie) Griffiths und fragte, ob ihre Tochter, »die sich, wie ich fürchte, in einer schwierigen Phase befindet«, sie besuchen dürfe. Eine Zugreise in den Süden, meine erste. Für Familien wie unsere, also Siedler aus der Nachkriegszeit, gab es bei Bahnfahrten einen Rabatt. Eine zweitägige Reise zweiter Klasse, zu sechst in einem Abteil. An jedem Bahnhof, wo der Zug manchmal bis zu einer Stunde hielt, boten schwarze Kinder geschnitzte Tiere, Apfelsinen, Aprikosen oder ein paar Guaven an, und die hochnäsigen Weißen handelten mit ihnen um
tickies
(drei Pennys) und lachten, wenn sie die Spielsachen so hoch hielten, dass die Kinder nicht mehr drankamen und Angst hatten, dass man sie um ihr Geld bringen würde. Sie warfen ihnen die Münzen zu, wenn sich der Zug schon in Bewegung setzte, und lachten und johlten erneut, wenn sich die Kinder im Staub darum balgten. Eine Szene dieser Art ist in Nadine Gordimers Kurzgeschichte
Der Zug aus Rhodesien
beschrieben.
    In Johannesburg brachte mich ein Wagen mit Chauffeur in die Welt des Wohlstands, in ein großes Haus im reichsten Vorort der Stadt, mit Dienstboten (hier waren es Frauen, nicht wie bei uns Männer), Gittern vor den Fenstern und der Atmosphäre eines Lebens im Belagerungszustand, die damals neu war, sich aber seither stetig verschlimmert hat. Mr. Griffiths war Schotte, hatte seinen Akzent beibehalten, war direkt, kernig, gewieft. Er war fast immer im Büro. Er kam in sein Haus wie ein Gast, während seine Frau, hübsch und mittleren Alters, mit teuren Kleidern, Schmuck, das duftige graue Haar perfekt frisiert, ihn augenscheinlich pflichtbewusst bediente, ohne allerdings den ewig vorwurfsvollen Blick von ihm abzuwenden. Wieder erlebte ich ein Ehepaar, das aneinander gebunden war, um sich unglücklich zu machen, und das in jeder Hinsicht gegensätzlich war. Die Mahlzeiten waren kurz, englische Küche, in einem Esszimmer, das ich steif und ungemütlich fand – wie den Rest des Hauses mit seinen teuren Möbeln auch. Nie fuhr ich von unserem schäbigen, langsam verfallenden Haus fort, ohne mir klarzumachen, wie viel schöner es war als alle anderen Häuser, in die ich kam. Mrs. Griffiths arbeitete nicht. Damals arbeiteten reiche Frauen nicht. Sie langweilte sich zu Tode. Dann sagte sie: »Ach Gott, komm, lass uns ausfahren.« Der Chauffeur, Stanley, war ein junger weißer Südafrikaner, ein dünner, sonnengebräunter Mann mit kalten Augen aus der Welt echter Armut. Das war ohne Weiteres zu

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