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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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»Mmmmmh!« Dann sah er an ihrer biederen Frisur und dem erneut gesenkten Blick vorbei und starrte mich, die ich mit seinem Baby auf dem anderen Sofa saß, lange und intensiv an. Wir harmonierten ausgezeichnet. Ich wusste, dass er mich gern verführt hätte. Ich wusste auch, dass er es lassen würde, lassen musste. Unterdessen versuchte ich, seinen Schwager zu verführen. In den meisten Nächten kam er zu mir ins Bett, es sei denn, er traf sich mit den Rotariern oder Freimaurern oder hielt in seiner Funktion als Stadtvater auf Probe – er war erst Mitte zwanzig – eine Rede. Im Bett lag er dann neben mir wie ein Bruder und gestattete sich vorsichtige, unbeholfene Küsse. Ich konnte nicht begreifen, wieso das moralisch sein sollte, richtiger Geschlechtsverkehr aber nicht. Mich überzeugten die feinen Grenzziehungen seiner Moral nicht. Das Problem war schlicht und ergreifend, dass er sich nicht viel aus Sex machte. So ging es das ganze Jahr, in dem ich dort lebte, und ich wurde immer frustrierter und wütender. Jasper bekam es mit und bemerkte, dass ich seiner persönlichen Ansicht nach meine Zeit verschwendete. Damit wollte er sagen, dass ich lieber an der Natur des Mannes zweifeln sollte als an seinen moralischen Grundsätzen.
    Zweimal in diesem Jahr begleitete mich dieser Schwager bereitwillig nach Hause auf die Farm, wo er sich in der Rolle des potenziellen Freiers sonnte – vor meiner Mutter. Mein Vater, ein Mann mit Erfahrung und sicherem Instinkt, sagte, er sei ein komischer Kauz.
    Diese Geschichte über mich und meinen halbherzigen Freier hat verborgene Tiefen, die manchen Moralisten trösten mögen. Als ich meine neue Stelle antrat, kannte ich noch niemanden in Salisbury; als ich sie aufgab, stand mir eine Fülle von Möglichkeiten offen. Es ist keine Seltenheit, dass ein Mädchen mit einem jungen Mann zusammenbleibt, der ihr höchstwahrscheinlich nicht viel bringt, zumindest nicht auf dem Gebiet, für das sie sich am brennendsten zu interessieren scheint. Warum ist das so? Sie schützt sich, nur halb wissend, was sie tut.
    Zweimal lockte ich ihn in hellen Mondnächten in den Busch, und ich bewundere heute noch das Raffinement meiner Verführungsversuche, denn immerhin hatte ich für hausgemachte Verhütungsmittel gesorgt, von denen ich in einem von Jasper geborgten Geschichtsbuch gelesen hatte. Es blieb wieder bei Küssen und Liebkosungen, er blieb bei seinem Vorsatz, sich für seine Ehefrau aufzusparen.
    Meine andere Aktivität in diesem Haus bestand darin, Kleider zu nähen. Ich bekam vier Pfund im Monat. Mich ärgerte, dass ich ein paar Jahre zuvor in Umtali zu jung gewesen war, um mit den Teenagern herumzuziehen, während ich jetzt zu jung war für das Abendleben der Erwachsenen. Immerhin nahm ich an einem Ball für Erwachsene teil, wo alle nett zu mir waren. Die Kleider, die ich mir nähte, waren schick und für meinen Alltag als Kindermädchen nicht gerade passend. Während ich mal mehr, mal weniger orientierungslos herumschwamm oder in den seichten Gewässern des Erwachsenendaseins planschte, bot mir die Dame des Hauses mitfühlend Sachen an, die ihr standen, Blümchen und Rüschen, und war erstaunt, wenn sie damit keinen Erfolg hatte.
    Und noch etwas geschah mir. Säuglinge, die anfangs achtzehn Stunden am Tag schlafen wie Kätzchen, werden zu hellwachen Krabbelkindern und entwachsen dem Laufgitter – sie brauchen Unterhaltung. Ich ging mit dem Baby jeden Nachmittag ein paar Stunden in den Park und schob den Kinderwagen durch die Gegend, weil ich mich nicht hinsetzen und Teil der Szene werden wollte: Frauen auf der Bank, mit Kinderwagen und Kleinkindern. Ich langweilte mich. Kurze Zeit später schob ich weitere drei Babys im Kinderwagen durch den Park, eines nach dem andern, meine eigenen, und in meiner Erinnerung sind diese Nachmittage der Gipfel, der Himalaja des Stumpfsinns. Die Zeit kroch beinahe so langsam dahin wie viele Jahre zuvor in der Kindheit. Während ich den Kinderwagen schob und mit dem freundlichen Baby schwatzte, verfasste ich im Kopf Gedichte. Ich war wie benommen. In den nächsten Jahren schrieb ich eine ganze Reihe von Gedichten, fast alle aus jenem Land der satten, wohltuenden Melancholie, die wie eine Droge wirkt. Ich glaube nicht, dass mehr als ein halbes Dutzend dieser Gedichte etwas taugten.
    Zu dem Zeitpunkt, als ich aus Salisbury wegging, führte ich den gesamten Haushalt, kochte und trug die Verantwortung für das Kind. Ich verschlang Jaspers Bücher, führte

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