Unter der Haut (German Edition)
gekämpft haben oder auf andere Weise dabei gewesen sind, schwingt immer Bedauern darüber mit, dass die Intensität der Erfahrung so besonders groß war. Wir sind Sensationsjunkies, von Natur aus für Aufregungen zu haben, auch wenn sie Gefahr und Tod bedeuten. Jede Generation ist von den wehmütig sehnsüchtigen Stimmen der vorigen Generation auf den Krieg eingeschworen worden. Das ganze Jahr träumte ich davon, loszustürzen, sobald der Krieg erklärt wäre, sei es als Krankenschwester, Soldatin, Fallschirmspringerin über feindlichem Territorium, Spionin für mein Land oder Krankenwagenfahrerin. Und was hielt mich davon ab, Salisbury gleich auf der Stelle zu verlassen, um zur rechten Zeit am rechten Ort, in London, zu sein? Zum einen das Geld; ich hatte keins. Ich hätte meine Eltern nicht um Geld bitten können. Nicht nur der Stolz verbot das. Ich frage mich manchmal, warum wir – die Gleichaltrigen meiner sozialen Herkunft – lieber gestorben wären, als unsere Eltern um Unterstützung zu bitten, und so schnell wie möglich von zu Hause fortgegangen sind, nur damit nach uns erst eine und danach eine zweite Generation nichts anderes im Kopf hat, als ihre Abhängigkeit so lange auszudehnen wie möglich. Das ist nicht als Kritik an der einen oder der andern Generation gemeint. Beide zahlen einen Preis. Wenn man sehr jung die Verbindung zu den Eltern kappt, zerschneidet man gleichzeitig emotionale Bindungen. Wenn man zu Hause bleibt, ist auch das nicht einfach. Interessant ist jedoch die Frage, warum eine Notwendigkeit, die für eine Generation so selbstverständlich ist, dass man gar nicht darüber reden muss, bei den Kindern ins Gegenteil umschlägt.
Dass ich kein Geld hatte, war nur ein Teil des Problems. Ich kannte bis dahin die Farm, die Vumbas, diese kleine Kolonialstadt und – flüchtig – Johannesburg. Ich war so unerfahren wie ein junges schwarzes Mädchen in Simbabwe heute, für die, weil sie weder Geld noch andere Möglichkeiten hat, Großbritannien und Europa so weit weg sind wie die Sterne. Doch theoretisch hätte ich weggehen können. Stattdessen las ich, tanzte, flirtete und träumte von heroischen Abenteuern. Ich würde die Wüste Gobi erforschen, ich würde mutterseelenallein in einer Hütte in der Kalahari leben.
Außerdem war ich berauscht von meinem Körper. Gibt es einen glühenderen Stolz als den einer jungen Frau? Heute lese und höre ich, dass alle jungen Mädchen mit ihren Schenkeln, Taillen, Brüsten, Beinen, mit einzelnen Aspekten und ihrer ganzen Figur unzufrieden sind. Ich war nicht jahrelang der Werbung, den Frauenzeitschriften und der Mode ausgesetzt gewesen. Ich bin nie darauf gekommen, mich meines Aussehens zu schämen, selbst nicht in meinen fülligen Phasen. Ich konnte inmitten einer Gruppe von Menschen stehen und in dem Wissen, dass mein Körper unter meinem Kleid stark und schön war, insgeheim jubilieren; ich konnte einen nackten Arm anschauen oder meine Haare im Spiegel, und mich durchrieselte ein Freudenschauer. Diese verborgene Kraft hielt mich durch Monate hindurch aufrecht, in denen ich haltlos, wie über Stromschnellen, dahinschoss.
Und nun eine kleine soziologisch-literarische Anmerkung. In
Martha Quest
beschreibe ich, wie Martha in der Badewanne liegt und ihre Nacktheit betrachtet, während draußen ein Gewitter tobt und ihre Wirtin darauf wartet, ihr eine Tasse Tee zu bringen und sie – wegen irgendetwas – auszuschimpfen. Als ich die Passage schrieb, zögerte ich lange mit der Beschreibung ihrer Freude an ihrem Schamhaar, jung und glänzend, das in drei perfekten kleinen Wirbeln gewachsen war. Ich wusste, dass man sich darüber aufregen würde, aber wenn es eine Frage des Prinzips war, dann wollte ich das nicht zu meinem Prinzip erheben. Später, in den siebziger Jahren, schrieb ich eine Geschichte mit dem Titel
Abgehakt.
Darin werden die Achselhaare einer jungen Frau als goldene Fransen beschrieben. Ein amerikanischer Verleger und einige Zeitschriften weigerten sich dieser Haare wegen, die Geschichte abzudrucken. Und doch darf man in Amerika Mord in jeder Form, Folter, Vergewaltigung, Gräueltaten im Krieg und Grausamkeiten beschreiben, so viel man will. Nur keine Achselhaare in einer Erzählung über Verführung und Sex. Doch zu diesem Zeitpunkt beharrte ich darauf, denn inzwischen war es wirklich zu einer Frage des Prinzips geworden.
Am berauschendsten von allem war die Tanzmusik. Als ich von der Farm nach Salisbury kam, war ich im Nu musikbesessen.
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