Unter der Haut (German Edition)
die halbe Nacht allein, da Frank in seinem Büro arbeitete, wenn er nicht gerade dabei war, sich irgendwelche Winkelzüge zu überlegen, um doch noch eingezogen zu werden – er war zu alt –, oder mit den andern Männern trank. Es war Regenzeit und sehr warm. Der Busch um das Haus herum war wieder zugewuchert, ließ lange Triebe mit Schösslingen in die Zimmer sprießen, lockerte Ziegel und verkündete den baldigen Einsturz des Hauses, an dessen Stelle wieder Bäume stehen würden. Ich war mittlerweile ziemlich rund. Ich habe bei allen Schwangerschaften kräftig zugenommen. Außerdem sagte man uns damals, wir müssten für zwei essen. Ich fühlte mich nicht wohl, und es gab keine Möglichkeit, mich abzukühlen. Ich füllte eine Zinkwanne mit Wasser – fließend Wasser hatten wir nicht – und setzte mich manchmal stundenlang hinein. Das Wasser war lauwarm. Mir war angenehm kühl, solange ich im Wasser war. Ich saß und hielt Zwiegespräche mit dem Geschöpf hinter der Wand meines riesigen Bauches. Es strampelte viel, viel mehr als Ivys Baby. Ich hörte im Radio die Nachrichten aus Europa und versicherte dem Kind mit der Hand auf dem Bauch, dass der Krieg ihm nichts anhaben könne, und dachte an die Mütter und Kinder, die in Europa vor den Streitkräften auf der Flucht waren.
Meine Geistesverfassung unterschied sich grundlegend von der heutiger junger Frauen, die Kinder bekommen. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung sein könnte. Ivy war von der Angst vor einer möglichen Katastrophe besessen, denn als Krankenschwester kannte sie sich aus mit dem, was alles schiefgehen konnte. Sie fand mich anmaßend, wenn ich davon ausging, dass dieses und alle anderen Babys, die ich bekommen konnte, gesund und munter sein würden. Ich sollte recht behalten, und zwar für uns beide. Ich hatte ein für alle Mal beschlossen, nicht krank zu sein – schließlich lag diese Entscheidung erst sechs Jahre zurück –, und das prägte auch meine Erwartungen für das Kind. Es war daher für mich undenkbar, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen oder eins, das nach der Geburt sterben konnte. Ich war von ruhigem und freudigem Zutrauen erfüllt. Ich saß da, im lauwarmen Wasser, während die Tauben rings um das Haus und in den Zweigen des Baumes über dem Haus gurrten, riefen und glucksten; ich rauchte oder stieg aus der Wanne, um mir ein Brot zu schmieren, und setzte mich wieder hinein. Ich las die Bücher, die stapelweise neben der Wanne lagen. Ich lauschte mit den geübten Ohren meiner Kindheit in den Busch. Im Radio hörte ich, wie sich der Krieg in Europa langsam ausweitete. Da Frank – wie ich annahm – bald einberufen werden würde, würde ich mit dem Baby allein bleiben, und dann … Aber ich war gern allein. Ich dachte mir eine romantische Affäre mit einem der Engländer aus, die bereits in Salisbury auftauchten, in Uniform und in Zivil, um das Land für seine Kriegstauglichkeit in Augenschein zu nehmen. Ich würde endlich Zeit finden, meinen ersten Roman anzufangen. Ich würde noch ein paar Kurzgeschichten schreiben, diesmal aber richtige.
Diese segensreiche Zeit des Alleinseins, der langen verträumten Stunden, die nur durch Franks Ankunft mit seinen lustigen, lauten Trinkkumpanen unterbrochen wurden, ging zu Ende, als ich nach Salisbury zurück in ein möbliertes Zimmer zog, an das ich mich nicht erinnere. Das liegt daran, dass damals ein möbliertes Zimmer aussah wie jedes andere, alle mit Chintz- oder Blümchengardinen und dem dick lackierten Toffeemobiliar. Es hatte keinen Sinn, sich etwas Besseres zu suchen, wenn Frank ohnehin bald fortmusste. Zurück zur unbeschwerten, übermütigen Heiterkeit des Sports Club, zu den Veranden, den Partys und den Kriegsgesprächen.
Meine bessere Hälfte, Ivy, und ich nahmen unsere gemeinsamen Vormittage wieder auf. Ihr Tommy stand kurz vor der Einberufung, obwohl sie gesagt hatte: »Du kannst dich nicht einberufen lassen, ich komme nicht allein zurecht.« »Aber vielleicht habe ich keine Wahl«, sagte er mit einem Leuchten in den Augen. »Und ich lasse nicht zu, dass du mit all den Frauen schläfst.« »Welchen Frauen!« »Ach, ich kenn dich doch, du alter Hund!« Kicher, kicher, während er verwegen dreinschaute und sich geschmeichelt fühlte. Sie suchte die Behörden auf, lauter Männer, mit denen sie im Laufe der letzten zehn Jahre geflirtet, getanzt und getrunken hatte. Mittlerweile waren sie Major oder General und hatten
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