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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Glück, ein bisschen schlafen. Bald fingen die Babys erneut an zu brüllen. Sie weinten wohl ein bis zwei Stunden, während die Mütter in ihren Betten lagen und sich nach ihnen sehnten, aber sie durften nicht zu ihnen gehen und konnten sie sich nicht bringen lassen. Damals sollten Frauen eine Woche fest liegen. Na ja, bei meiner Mutter waren es noch sechs Wochen gewesen. Ich lag hilflos im Bett, die schmerzenden Brüste prallvoll mit Milch, und hörte vom andern Ende der Veranda das verzweifelte Schreien der Babys, und ich war erfüllt von Zorn und Frustration.
    Mary McCarthy beschreibt in ihrem Roman
Die Clique
ein ähnliches Regime. Die Lady-Chancellor-Entbindungsklinik war nicht einzigartig. Doch wenn ein Komitee je vorhaben sollte, zu verhindern, dass Mütter eine Bindung zu ihren Babys entwickeln – oder, wie wir früher sagten, ihre Babys lieben –, dann könnten sie kein besseres Vorbild für ihre Studien finden als die Lady-Chancellor-Klinik. Ich habe gehört, in Japan wird nach derselben Methode verfahren.
    Im Fernsehen bekommen wir oft dieses Bild zu sehen: Auf einem langen Wagen, einem Regal oder einem Tisch liegen zehn oder mehr Babys, alle gleich gewickelt, die Arme und Beine fest verpackt, und über diesen armen Säuglingen steht die Aufsicht führende Schwester. Der Anarch, das von explosiven, wundervollen Möglichkeiten strotzende Neugeborene, bekommt seinen Platz in der Welt gezeigt, hat zu lernen, wie es hier zugeht. Ich rechne nicht damit, dass sich die Dinge wesentlich ändern werden. Irgend etwas Tiefsitzendes und Scheußliches wird durch diese Trennung junger Mütter von ihren Kindern genährt und dadurch, dass man die Kinder um jede Mahlzeit schreien lässt und dafür sorgt, dass die Frauen rastlos und unglücklich sind.
»Man muss ihnen zeigen, wer das Sagen hat.«
    Ich lag mit zwei weiteren Frauen im Zimmer. Eine bekam ihr drittes Kind. Sie war dick, formlos und schlaffhäutig. Mit heimlichem Entsetzen betrachtete ich sie von meinem Bett aus. Ich lag da in meinem aus den Fugen geratenen Körper und wollte ihn wieder in seine alte Form zwingen. Ich hasste meine riesigen, prallen Brüste (was mich nicht daran hinderte, auf die viele Milch stolz zu sein). Ein Mädchen definiert sich zunächst in Abgrenzung zur Mutter, dann zur übrigen Welt, durch ihren straffen, wohlgeformten Körper, ihre seidigen, kleinen Brüste und natürlich das glänzende Dreieck der Schamhaare mit den hübschen Wirbeln – sie ist in diesem jungen Leib unanfechtbar. Und dann – liegt sie im Bett wie ein Sack wundes Fleisch oder eine Schnecke, die man aus ihrem Haus gerissen hat.
    Sobald sie von der Leiterin und den Schwestern unbeobachtet war, stellte sich die schwarze Putzfrau, die sich mit mir angefreundet hatte, an das Bett dieser häuslichen, selbstzufriedenen Frau – das war sie in meinen Augen. Sie bewunderte diese Frau und sagte: »Bei uns ist eine Frau keine richtige Frau, bis sie ihr drittes Kind bekommen hat.« »Jetzt bin ich also eine richtige Frau«, sagte die Mutter belustigt und stolz. (Ähnlich sagte einmal eine Shonafrau zu mir: »Bei uns sind ein Mann und eine Frau nicht einfach verheiratet, bloß weil sie ihre Hochzeit gefeiert haben. Es kann Jahre dauern, bis ein Paar wirklich verheiratet ist.«)
    Ich schwor mir insgeheim, nie wieder ein Kind zu bekommen, denn ich wollte nie wieder hässlich und dick sein. Aber die Frau im andern Bett hatte sich womöglich dasselbe geschworen, und jetzt lag sie zufrieden da mit ihrem Milchpuddingkörper. Ich fühlte mich unendlich verlassen, ängstlich und bedroht. Frank ging fröhlich ein und aus, manchmal hatte er seine Kumpane dabei, die jetzt schließlich auch meine Freunde waren. Sie waren alle so stolz auf mich und auf das Baby. Meine Mutter kam herbeigeeilt und schimpfte sofort, dass Füttern im Vierstundentakt für Neugeborene ein Unding sei. Das veranlasste mich dazu, die Schwestern zu verteidigen. Ich konnte es mir nicht leisten, mich mit meiner Mutter einig zu zeigen, die Vorwürfe und Kummer verbreitete, ohne es zu merken.
    Als ich mit John nach Hause kam, verbrachte ich zum ersten Mal mehr als eine halbe Stunde mit ihm. Er hielt sich nicht an die üblichen Verhaltensregeln. Zum einen hob er von Anfang an sein Köpfchen und trank kräftig und mit Freuden an der Brust, seine Beinchen strampelten dabei wie wild, und seine Augen, die angeblich nichts fixieren konnten, waren wach und aufmerksam. Er kuschelte sich nie an, sondern versuchte ständig,

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