Unter der Haut (German Edition)
Kolonien hatte Snobismus immer etwas leicht Befremdliches, wie ein perfekt funktionierendes Teil, das aus seiner Maschine ausgebaut ist und jetzt für alle sichtbar auf einer Werkbank nutzlos vor sich hin rotiert. »Guck dir an, wie gut es funktioniert!« Wenn Ivy und ich über Mary redeten, dann waren wir von Mitleid erfüllt. Wir fragten uns, was es für einen Sinn hatte, hier snobistisch zu sein, in der Gegenwart von unsereinem? Die Darbietung bewunderten wir trotzdem.
Marys Mann war ebenfalls einer von den Jungs – oder besser gesagt Männern, er war schon etwas älter – aus dem Sports Club. Er trank reichlich, war wohl wirklich Alkoholiker, gutmütig, liebenswürdig und recht einfältig. Die Gefährtin, die er sich als Trostspenderin seines Lebens mitgebracht hatte, war ein scharfzüngiger, aufrechter, nüchterner Rotschopf, der einfach verkündete: »So, jetzt reicht’s, Schatz, du hast für heute genug getrunken.« Kurz, es war eine archetypische Ehe, wie wir alle sie schon hundertmal gesehen haben, zwischen dem guten Kameraden, dem lustigen Gesellen, dem Schluckspecht und Säufer, dem Männerkumpel und der tüchtigen, moralistischen Frau, die Schwäche verachtet, weil sie keine Schwäche in sich hat. Es scheint, als ob diese ehrlosen Männer das Gefühl haben, ihre eigenen Gewissensbisse reichten nicht aus; sie müssen dafür sorgen, dass sie zusätzlich ständig von jemand anderem gegeißelt werden.
Wie soll man sonst jene andere typische Ehe erklären zwischen dem Gelehrten, Weisen oder Intellektuellen und der Prostituierten oder Bardame, jedenfalls der frivolen, aufreizenden Frau? Beide können sicher sein, dass sie Tag und Nacht jemanden um sich haben, der denkt: »Du bist sexbesessen!« »Mein Gott, bist du ein dröger, alter Knochen.« »Kannst du denn gar nichts ernst nehmen?« »Musst du immer
denken?
Kannst du dein Gehirn nicht dann und wann mal abschalten?«
Dieser gute Kumpel setzte, wenn seine neue Frau dabei war, stets einen humorvoll traurigen Hundeblick auf. Sie war in seiner Begleitung wie eine Königin, die man um ihren rechtmäßigen Thron gebracht hat, wie D. H. Lawrence sagen würde. Sie hieß, wie gesagt, Mary.
Ich besuchte Mary zum Tee in ihrem Hotel, dessen Luxus für die Habitués der großen Hotels dieser Welt nichts Umwerfendes gehabt hätte, aber ich genoss den guten Kuchen und das Holzfeuer im Kamin. Verständlicherweise besuchte Mary mich nicht zum Tee bei mir. Sie hatte ein hübsches, braves Baby, das Sachen aus England trug. John benahm sich bei diesen Teegesellschaften nicht schlecht, er blieb sich einfach treu. Mary sagte scharf: »Er ist sehr lebhaft, nicht?«, als sie zusah, wie er in meinen Armen strampelte und kämpfte und bereits versuchte, sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Füße zu stellen. Offensichtlich wartete er ungeduldig darauf, kein Baby mehr sein zu müssen. Interessanterweise konnte ich diese Vorstellung ausgiebig mit Ivy diskutieren, nicht aber mit der »intellektuellen« Mary. »Sind Sie sicher, dass er erst vier Monate alt ist?«, fragte Mary. Später, als er sich mit neun Monaten hinstellte und mit einem Jahr laufen lernte, fragten die Leute: »Sind Sie
sicher
, dass er erst ein Jahr alt ist?« Das ist eines der Dinge, die »unmöglich« sind, von denen ich aber weiß, dass sie wahr sind. Jahrelang führte ich im Kopf eine Liste von Dingen, die unmöglich waren – weil Leute das behaupteten – und die dennoch zutrafen.
Ich war stolz auf John, aber auch beschämt. Ich wusste nicht, warum die Babys anderer Leute ruhig in ihren Kinderwagen lagen und sich schaukeln und herzen ließen. Mary vermittelte mir ein Gefühl von Inkompetenz. Aber für das große Holzfeuer bei ihr hätte ich mich noch mit ganz anderen Dingen abgefunden. Ich hatte keinen Kamin im Zimmer, denn es gibt in heißen Gegenden eine unausgesprochene Übereinkunft, nach der es nie kalt wird. In Salisbury trockneten Windeln in der heißen Sonne innerhalb von einer Stunde auf der Wäscheleine, aber hier wurden sie muffig. Ich kaufte immer neue, um wenigstens ein paar trockene zu haben.
Ivy zog in dasselbe Hotel wie ich, nur um festzustellen, dass man ihren Tommy nicht aus dem Camp lassen würde – allerhöchstens für ein paar Stunden. Sie war nicht mehr sie selbst. Sie wurde, wie sie vorausgesehen hatte, nicht damit fertig, dass sie ihren Mann an den Krieg verloren hatte. Eine böse, harte Frau, die sich gehen ließ, saß im Zimmer und stierte vor sich hin. Eine Zigarette
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