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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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und zu einem Knoten aufgesteckt trug. Sie hatte riesige graue Augen, ein wundervolles Lächeln und Grübchen. Auf dieses bezaubernde Mädchen hatte ein Lord bei einem Besuch einen Blick geworfen und sich auf der Stelle verliebt. Auch sie hatte sich in ihn verliebt, leidenschaftlich und endgültig. Und sie hatte allen Grund zu glauben, dass sie ihn heiraten und nach England gehen würde. Aber er überlegte es sich anders. Ihr brach das Herz: Herzen können wirklich brechen. Als Gegenreaktion heiratete sie unverzüglich einen Mann, der im Vergleich zu ihr und ihrer zarten Schönheit ein Tier war – aber so wären einem die meisten Männer vorgekommen –, einen groben, aber gutmütigen Klotz von einem Farmgehilfen, der sich später zum Farmer emporarbeitete. Oft betrachtete er sie, diesen Engel, der so weit über ihm stand, mit einem Blick, aus dem halb Anbetung, halb Zorn sprach. Jedes Molekül ihres Körpers war zart, fein, empfindsam. Er wiederum liebte es, dem Koch einen Feuerwerkskörper ins Hemd zu stecken oder aus Übermut einen Vogel oder ein Tier abzuschießen, nicht für den Kochtopf, bloß weil sie das nicht leiden konnte. Oder er ließ absichtlich Geld in einem Zimmer liegen, in dem der Diener gleich sauber machen sollte, und dann schaute er amüsiert durch eine Ritze und ergötzte sich an den Qualen des Mannes, der mit sich rang, ob er die Münzen stehlen sollte oder nicht. Wenn er sie mitgehen lassen wollte, stürzte er ins Zimmer, drohte mit der Polizei und brüllte anschließend vor Lachen: »Hab ich dich erwischt, du Schurke.« Mary zeigte nie, wie sehr sie litt, sondern blieb stets geduldig und humorvoll. Wir glaubten, dass sie diesen schwer zu ertragenden Mann genommen hatte, um sich dafür zu bestrafen, dass sie sich einst gestattet hatte, sich so unklug zu verlieben. Wenn sie zu Besuch war, sah sie sich meine Bücher an, blätterte darin herum und seufzte: »Das Leben ist traurig genug, warum auch noch darüber lesen?« Wenn sie meine Schreibversuche und Teile aus meinen Romanen zu Gesicht bekam, beschwerte sie sich über meine morbide Sichtweise, bevor sie in die trostlose Armut ihrer einsamen Farm zurückkehrte, in das winzige Haus, zu ihrem Grobian von einem Mann und ihren zwei kleinen Kindern, denen sie Geschmack, Stil und Manieren beizubringen versuchte.
    Franks Mutter pflegte überraschend zu kommen, ein bis zwei Tage zu bleiben und wieder abzurauschen. Sie hieß »Mater« oder »Wizzy«. Sie war eine mittellose Witwe und wurde von beiden Söhnen mit kleineren Geldbeträgen unterstützt. Ihre Zeit verbrachte sie mit Besuchen im ganzen Land und mit Bridgespielen. Die kleine, dicke, liebenswerte Frau »mischte« sich bei uns nicht »ein«, weil sie keine Lust dazu hatte. Sie hatte mehr als genug durchgemacht, nach einem harten, unsicheren Leben, mal mit, mal ohne Geld. Für mich ist sie rückblickend eine verpasste Gelegenheit, wie Granny Fisher. Ich hatte Angst davor, sie zu nahe an mich herankommen zu lassen: Eine Mutter war genug.
    Etwa um diese Zeit zog Dolly Van der Byl ein. »Warum vermieten wir ihr nicht einfach ein Zimmer? Jetzt im Krieg sind keine Zimmer zu kriegen, und sie ist ein netter Mensch, es ist nicht richtig, dass sie keine Wohnung hat«, sagte Frank.
    Als Dolly in eines der leeren Zimmer gezogen war, sahen wir uns nur bei den Mahlzeiten, sonst war sie nicht oft zu Hause. Sie gehörte seit Jahren zu der Clique aus dem Sports Club, kannte jeden in der Stadt, trieb alle möglichen Sportarten, war ungezwungen, freundlich, hilfsbereit, passte für Freunde und für uns auf die Kinder auf, arbeitete für das Rote Kreuz. In der Frühe tranken wir zu dritt unsere letzte Tasse Tee auf der hinteren Veranda, während Dolly am Bügelbrett stand, das Kleid für den Tag bügelte und mit Frank Neuigkeiten aus ihren Büros austauschte – sie arbeiteten nicht mehr zusammen in einer Abteilung. Wenn die Kinder dabei waren, gab sie sich sehr lieb, eine gute Tante, die zu ihrer eigenen freudig kundgetanen Überraschung dauernd kleine Mitbringsel in ihrer Handtasche fand. Sie sagte oft im Scherz, es mache ihr nichts aus, dass sie allmählich zu alt werde, um noch Kinder zu kriegen – sagte im Scherz, es würde ihr auch nichts ausmachen, jemanden zum Mann zu nehmen, der schon Kinder habe. Frank und sie fuhren oft zusammen mit dem Rad in ihre verschiedenen Büros. Sie fuhr überallhin mit dem Rad, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in alle Stadtteile.
    Später meinten etliche Leute, dass es mein

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