Unter der Haut (German Edition)
Kontakt mit Aufwieglern leisten konnte und weil er aus meinem neuen Leben ausgeschlossen war.
Ich war Kommunistin geworden. Wer ein bestimmtes Alter überschritten hat oder über eine gewisse Erfahrung verfügt, versteht diese schlichte Aussage sicher ohne weitere Erklärung. Aber eine alte Rote kann selbst von einem jungen Menschen, der sich sehr um Verständnis bemüht, schon zu hören bekommen: »Klar, ihr wart progressiv. Aber, warum gleich Kommunismus? Warum
organisierte
Radikalität?« Über eine solche Frage kann ich und können andere mit meiner Vergangenheit nur staunen. Die Kapriolen der Zeitläufte haben wohl nur selten eine so rasche und so tief greifende Veränderung von Vorstellungen hervorgebracht. Vor allem aber steht hinter einer solchen Frage die Annahme, dass man erst nach dem Studium von einem halben Dutzend Parteiprogrammen, alle fein säuberlich auf einem Tisch vor sich ausgebreitet, zum Kommunisten wurde: »Soll ich in die Labour Party eintreten?« »Nein, lieber in Huggins’ United Party …« »Andererseits …« Viele Leute sind vor allem aus Verbitterung über die herrschenden Regierungen zu Kommunisten geworden. Oder weil sie sich in eine Kommunistin verliebt hatten – wie es beispielsweise bei Gottfried Lessing der Fall war. Oder weil jemand sie zu einer Parteikundgebung mitgenommen und die aufgeheizte Stimmung der Masse sie mitgerissen hatte. Oder weil jemand sie zu einer Parteiversammlung mitgenommen hatte und sie die Atmosphäre von Verschwörung angesteckt hatte. Oder wegen des Idealismus der Partei. Oder weil sie eine Neigung zum Heroischen und zum Leiden hatten. Ich persönlich bin in die Partei eingetreten, weil ich dort zum ersten Mal im Leben auf eine Gruppe von Menschen (und nicht auf ein isoliertes Einzelwesen hie und da) traf, die einfach alles lasen, für die das Lesen nichts Besonderes war und unter denen, wie sich herausstellte, Gedanken über das Eingeborenenproblem, die ich kaum je auszusprechen gewagt hatte, geradezu Gemeinplätze waren. Kommunistin bin ich wegen der Stimmung geworden, die damals in der Luft lag, wegen des
Zeitgeists.
In Turgenjews
Väter und Söhne
gibt es eine Szene, in der der Held Basarow (psychologisch gesehen derselbe Typ, der sich in späteren Zeiten dem Kommunismus oder sogar dem Terrorismus zugewandt hätte) einen Kommilitonen zu einem Ausflug zur Vergangenheit mitnimmt, und zwar in Gestalt zweier verhutzelter alter Menschen, die die weltbewegenden Umwälzungen der Französischen Revolution und ihrer aufklärerischen Ideen überlebt haben. Da sitzen diese beiden dann, zwitschern vor sich hin wie kleine Vögelchen und versetzen die neue Jugend in Erstaunen. Ohne Zweifel werden über kurz oder lang auch ich und andere vergleichbare Überbleibsel des Kommunismus Besuch von jungen Leuten erhalten, die so alt sind wie meine Enkel und Urenkel, und wenn ich ihnen dann beim Abschied nachsehe, werde ich feststellen, wie sie sich mit einem Ausdruck toleranten Unglaubens anlächeln. »Unglaublich, was die für absurde Vorstellungen hatten …«
Und was machte die Mutter von zwei kleinen Kindern? Sie war tüchtig wie immer. Bis zu dem Moment, in dem sie dieses Haus endgültig verließ, führte sie den Haushalt, überwachte die Dienstboten, ging tanzen und trinken und spazierte mit den Kleinen, die sich im Kinderwagen gegenübersaßen, unter den Bäumen entlang die Straßen auf und ab, wobei John natürlich heftig protestierte. Sie schneiderte weiter Kleider für die Kinder und für sich und für Frank. Sie kochte. Sie verbrachte manchmal ganze Vormittage mit Dora und Mary bei freundlichem Familiengeplauder, aber mit den Gedanken war sie die ganze Zeit in dieser anderen Welt, der sie angehörte
und auf die sie ein Recht hatte.
Ich habe eine Szene vor Augen: Eine junge Frau in grünen Leinenshorts und karierter Bluse sitzt auf einem Fahrrad und tritt mit ihren langen, glatten, braunen Beinen, derer sie sich so wohlig bewusst ist, als würde ein Liebhaber sie streicheln, in die Pedale. Sie könnte jubeln, weil sie sich so attraktiv findet, weil sich ihr so viel Unbekanntes eröffnet, denn ihr Kopf zerspringt fast vor neuen Informationen und Ideen. An der Lenkstange ist ein kleiner, mit Segeltuch bespannter Sitz eingehakt, darin sitzt die kleine Jean, sie ist vielleicht fünfzehn Monate alt. Wenn John in diesem Sitz steckt, ist er jedes Mal genauso in Hochstimmung wie seine Mutter, genießt die Bewegung, die Aufregung, die Herausforderung. Doch die
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