Unter der Haut (German Edition)
mittlerweile kaum noch. Alkohol schien hier nicht so fraglos dazuzugehören wie in Rhodesien. Außerdem waren wir jetzt in einer Weingegend. Und es gab für mich zu viel zu beobachten. Meine Freundin aus Singapur saß mit dem Ehepaar aus Windhoek zusammen. Die Engländerin und das junge Mädchen aus der windigen, sonnigen, staubigen Kleinstadt, in die die große weite Welt nur in Form des melancholisch schrillen Pfeifens der Eisenbahnzüge einkehrte, stellten einander gut gemeinte, aber unbeholfene Fragen. Sie lachten aus Hilflosigkeit und gaben schließlich einfach auf. Man kann schon sagen: »Wir wohnen in einem Eisenbahnerhäuschen an den Gleisen, und meistens wissen wir vor Geldsorgen nicht aus noch ein, und im Haus ist alles mit einer Staubschicht bedeckt, und die Fliegen machen einen schier wahnsinnig«, aber für eine Frau aus einem mit feuchtem grünem Gras gepolsterten Land ist das schwer zu verstehen. »Was, Sie haben Ihren Alten in der Schule kennengelernt?« »Ich habe meinen Mann in der Sommerschule kennengelernt, ja.« »Ach, geht man in England im Sommer zur Schule?« »Nein, es war eine Sommerschule für Musik. Mozart und Händel.« »Hätt’ mal einer versuchen sollen, mich zur Schule zu schicken, wenn ich nicht musste.« Genauso unverständlich war es für die Engländerin, wie jemand drei kleine Kinder haben konnte, die nur etwa zehn Monate auseinander waren. Als ich ihr erzählte, dass die junge Südafrikanerin es nicht über sich bringe, ein Pessar zu benutzen, sagte sie: »Aber das ist doch einfach
dumm
.« Und dann, weil sie inzwischen gelernt hatte zu zweifeln, was sie sich vor dem Krieg nicht hätte vorstellen können: »Ist doch so, oder?«
Eines Abends, als die Südafrikanerin auf die Kleinen aufpasste, war ich mit ihrem Mann am Strand. Er wollte sofort mit mir schlafen. Ich war schockiert. Er liebte doch seine Frau, oder? »Ach, du lieber Himmel, das wird einem doch über, immer mit derselben«, entgegnete er. Ich sagte: »Aber ich liebe Sie nicht.« Er entgegnete: »Was Sie nicht sagen! Nun stellen Sie sich doch nicht so an!« Er war beleidigt und konnte mich von da an nicht einmal mehr ansehen, ohne mir seine Kränkung zu zeigen. Ich hatte damals keine Ahnung, wie typisch diese Konfrontation für die Begegnung der Geschlechter war.
Ich träumte in Kapstadt von einem Mann, allerdings nur von einem, der das Leben der Boheme verkörpert. Maler, Dichter, Künstler aller Art lebten in einem Stadtviertel, in dem der Wein in Strömen floss und die freie Liebe zum selbstverständlichen Alltag gehörte. Doch für mich als Frau mit einem kleinen Kind in Seapoint war das alles unerreichbar. Wenn es mir tatsächlich gelänge, einen Abend aus dem Hotel und den komplizierten Babysitter-Arrangements zu entkommen, wohin sollte ich dann gehen? Außerdem war ich unendlich müde. John war zwar wieder guter Dinge, aber er rannte und kletterte den ganzen Tag umher und ich immer hinterdrein.
Ich erinnere mich deutlich an den Morgen, als ich mit John an den Strand hinunterging und gerade über die elementaren Auswirkungen der Frage nachdachte: »Gehst du nicht nach oben, Tayler?« Das Meer war aufgewühlt, die Wellen türmten sich haushoch, brachen, um gleich darauf erneut anzuwachsen und an den Strand zu krachen, und ein scharfer Wind wehte mir Sand und kalte Gischt an die Beine. John sprang auf und ab und schrie vor Begeisterung über den Radau und das tosende Meer. Er riss sich los wie ein frecher kleiner Hund, und plötzlich hatte ich nur noch einen Laufgurt in der Hand. Er rannte direkt am Wasser entlang, wo die Wellen krachend niederklatschten und im Zurückweichen schaufelweise Sand mitnahmen, als sollte der Strand ins Meer gespült werden, aber die nächste Welle schleuderte den ganzen Dreck – Sand, Wasser, Schaum – wieder empor … Wenn John von einer Welle erwischt werden würde, war es aus. Bei dieser Brandung konnte kein Mensch schwimmen, John würde einfach davongeschwemmt werden. Ich lief schreiend hinter ihm her, aber meine Stimme ging im Lärm der Wellen unter. Er rannte weiter, schnell wie eine Handvoll Schaum im Wind, und jedes Mal, wenn eine Welle brach, dachte ich, ich würde ihn nicht wiedersehen, und ich rannte und rannte, aber ich hatte ihn ja schon, als er ein Jahr alt war, nicht mehr einholen können. Und dann tauchte am anderen Ende des Strands ein Mann auf, und er sah uns und stellte sich so hin, dass John ihm in die Arme laufen musste. Er fing ihn auf, nahm ihn auf den
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