Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
tranken wir alle sehr viel mehr als üblich. Ich glaube, wir gingen auch fast jeden Abend tanzen. Theaterbälle, Sports-Club-Bälle, Bälle in den Hotels. »Man lebt nur einmal«, sagten beide Brüder gern.
    Ungefähr um diese Zeit bekamen John, Jean und ich Keuchhusten, schlimmen Keuchhusten. Wir schickten die Kleinen auf die Farm, wo meine Mutter sie pflegte, und ich zog mich in unser Gästezimmer zurück, um Doras Kinder nicht anzustecken. Als alle wieder gesund waren und ich hinausfuhr, um John und Jean abzuholen, sah ich meinen Vater durch seine vielen Krankheiten zu einem Gespenst abgemagert! Er betrachtete die zwei niedlichen Kleinen beim Spielen mit den Hunden und den Katzen und sagte: »Ja, so wart ihr auch mal! Ihr wart so süße kleine Kinder, und nun sieh dir an, was aus euch geworden ist! Es ist die Mühe nicht wert.«
    »Na, hör mal«, sagt meine Mutter, die ihm mit Sicherheit in etlichen anderen Momenten zugestimmt hätte. »Du übertreibst.«
    »Nein, überhaupt nicht«, entgegnet mein Vater und schwingt sein Holzbein auf die altbekannte Art, die immer wirkt, als wollte er jemanden damit treten, die aber nur dazu dient, dem eingeschrumpften Stumpf im heißen, juckenden Stumpfschuh ein bisschen Luft zu machen. »Was ist daran übertrieben? Ich wette, wenn man die meisten Leute fragte, würden sie antworten, dass sich die Mühe mit den Kindern nicht lohnt – die ganze Plage und die Sorgen, und dann sind sie am Ende doch bloß Mittelmaß.«
    Sie waren dabei, die Farm zu verkaufen. Erst kürzlich, als ich unsere alte Farm besuchte und sie nicht mehr mit dem verzauberten Blick der Kindheit sah, ging mir auf, dass sie immer zu klein gewesen war. Sie hätten damit nie zu Geld kommen können. Die Frage bleibt: Wieso haben sie das nicht erkannt?

Kapitel Dreizehn
    Und dann traf ich auf der Straße Dorothy Schwartz, die Dissidentin aus jener Gruppe sogenannter Progressiver, die mich vor langer Zeit (es war gerade mal vier Jahre her) als geeignet für ihre Arbeit betrachtet hatten. Da stand sie nun unter den Jakarandabäumen, die Bücher unter dem Arm, unverändert, ein schmächtiger dunkler Typ, das kluge Mädchen, und hörte sich in aller Ruhe an, was ich auf die »humorige« Tigger-Art vor ihr ausschüttete, wie sehr mir mein Leben auf die Nerven gehe, wie sehr ich die »weiße Zivilisation« und die Teepartys der Frauen verabscheue. Ich sagte nicht, dass ich meinen Mann hasste, nur, dass er reaktionär sei. Eine Frau kann durchaus mit ruhigem Gewissen sagen, dass ihr Mann ein schrecklicher alter Reaktionär ist, aber nicht, dass er schlecht ist. Dorothy meinte, ich solle zu einem ihrer Treffen kommen. Bevor ich damit herausplatzen konnte, wie wenig ich die Freunde von ihr damals hatte leiden können, teilte sie mir mit, dass sie nicht diese dämlichen Sozialdemokraten meine, sondern dass es eine Gruppe von wirklichen Revolutionären gebe und dass diese die Zeit für gekommen hielten, mich kennenzulernen.
    Solcherart Schmeichelei widersteht man nur schwer.
    Man sollte nie unterschätzen, dass jeder Mensch, wie unauffällig er auch lebt, von den verschiedensten Einzelpersonen und Gruppen beobachtet wird, die sich von seinem Entwicklungspotenzial und seiner Leistung ein Bild machen. Für den Fall, dass sich das wichtigtuerisch oder sogar paranoid anhört, kann ich nur sagen, dass ich es schon oft erlebt habe. Die Beobachter sind nicht in jedem Fall wohlwollend, sie können auch durchaus böswillig sein.
    Ich fing an, mich mit Dorothy zu treffen, immer gemeinsam mit anderen, an die ich mich nur verschwommen erinnere – größtenteils Leute von der Air Force und Flüchtlinge aus Europa. Wir trafen uns in der Meikles Lounge beim Bier, im Grand Hotel oder in billigen Teestuben in den ärmeren Stadtvierteln. Zu welcher Gruppe ich da eigentlich gestoßen war, das musste man mir erst noch erklären. Die alte Clique um den Left Book Club war »von der Geschichte überholt« und als reaktionär entlarvt worden. Die Lügen, die die Regierungen und die Zeitungen über die Sowjetunion verbreitet hatten, waren ebenfalls als solche entlarvt worden, und zwar durch die großartige Verteidigungsleistung der Russen bei Stalingrad. Die veränderte Lage verlangte eine objektive Einschätzung unserer Mittel und vor allem eine objektive Einschätzung der möglichen Kader.
    Ich war wie berauscht. Man machte mich zur Vorsitzenden einer Organisation, ich weiß nicht mehr, welcher. Frank war besorgt, weil er sich als Beamter keinen

Weitere Kostenlose Bücher