Unter der Haut (German Edition)
können mit dem Reichtum, den wir im Krieg vergeudeten. Ich würde sehr gern wissen, ob dieses Gefühl, das während des Zweiten Weltkriegs so ungemein stark war, auch neu war: Waren wir die erste Generation, die so empfand? Hat man schon bei früheren Kriegen so empfunden?
Heutzutage werden wir von einem anderen tödlichen Unglauben heimgesucht: Wir sind nicht intelligent genug – wir, die menschliche Rasse –, um eine neue Welt zu schaffen oder auch nur die alte vor der Zerstörung zu bewahren. Das ist eine Fortführung des alten Zynismus, der die andere Seite unserer schamlos naiven Träume darstellt und in dem Satz zum Ausdruck kommt:
Was kann man schon erwarten?
Gottfried genoss die Gesellschaft der drei aus Cambridge – bis zu einem gewissen Punkt. Er konnte mit ihnen über historische Fragen und abstrakte Gedankengebäude diskutieren, aber ihre Anspielungen, die beiläufige Art, in der sie sprachen, ihr Witz verunsicherten ihn, weil er nicht mithalten konnte. Ernste Dinge hatte man mit dem gebührenden Ernst zu diskutieren. Die leichte, problemlose Freundschaft, die mich mit den dreien verband, machte ihn noch einsamer, und er kritisierte unsere Gespräche über Bücher. Er konnte mit Literatur vielleicht nichts anfangen, aber er beharrte auf der Parteilinie. Wo blieb unsere ernsthafte kommunistische Herangehensweise an Literatur? Ja, wirklich, wo blieb sie? Es war in der Sowjetunion lange Zeit üblich, sich bei formellen kommunistischen Anlässen einer bestimmten Sprache zu befleißigen, während man für alltägliche Anlässe eine ganz andere benutzte. Und unsere winzige Gruppe hatte längst die gleiche Gewohnheit angenommen. Mir persönlich war es nie gelungen, sozialistischen Realismus ernst zu nehmen. Ich rechne es mir heute als Verdienst an, dass ich Gottfried, Nathan, Frank Cooper – und jedem anderen, der sich »der Linie« verschrieb – damals Paroli bot, aber das bedeutete nicht, dass ich mich dieser Sprache nicht durchaus bedienen konnte. Wenn ich tatsächlich in einem kommunistischen Land gelebt hätte, wäre ich dann aufgestanden, um mich gegen die Tyrannei »der Linie« zu wehren? Ich stelle mir gerne vor, dass ich es getan hätte. Im Zweifelsfall kann ich diese Frage zu meinen Gunsten beantworten, genauso wie die andere Frage: Wäre ich in Russland Ende der zwanziger Jahre wirklich mit den Aktivisten ausgezogen, um während der Kollektivierung die Landbevölkerung zu Tode zu hetzen? Und trotzdem weiß ich, wie selten die Individuen sind, die einer herrschenden Stimmung, Atmosphäre oder »Linie« widerstehen. Ich vermute, dass sich unsere kleine Gruppe in einem kommunistischen Land angepasst hätte, zumindest für eine gewisse Zeit, und sich mit Auswahlkriterien und Definitionen zur Literatur abgequält und gemartert hätte, die Gefängnis oder sogar Tod hätten bedeuten können.
Im südrhodesischen Salisbury verfügte unsere Gruppe – und das war in Tausenden anderer Städte jener Zeit nicht anders – über ein schlummerndes Potenzial. Sie hätte sich leicht zu einem literarischen Zirkel entwickeln können. Alle von uns gaben offen zu, dass sie gerne Gedichte, einen Roman oder Kurzgeschichten schreiben würden. Und was hätte sonst noch aus uns werden können? Bald würden wir herausfinden … es ist ein Gemeinplatz der Soziologie und der Psychologie, dass jede beliebige Gruppe – ganz unabhängig davon, ob sie sich aus politischen, literarischen oder sogar kriminellen Intentionen heraus zusammengefunden hat – schließlich dazu tendiert, religiös zu werden: zumindest, wenn man den Begriff »religiös« weit genug fasst. Unsere Gruppe hatte jedoch noch keine Zeit gehabt, um über das Stadium der ständigen Debatten und Spekulationen hinauszukommen. Wir waren zu verschieden, das Potenzial für Spaltungen war viel zu groß. Zu der Zeit, als die drei Royal-Air-Force-Offiziere aus Cambridge zu uns stießen, hatten wir bereits zwei Schübe Royal-Air- Force-Leute verloren – das heißt von den Dauerangehörigen der Royal Air Force, vom Bodenpersonal, das größtenteils aus der Arbeiterklasse stammte. Sie trennten sich nicht endgültig von uns. Manchmal kamen sie auf ein Bier vorbei oder holten sich Bücher und Flugschriften. Sie hatten ihre eigene Gruppe im Camp. Warum luden sie die drei Royal-Air-Force-Leute aus Cambridge und andere Kommunisten unter den Piloten nicht ein, ihrer Gruppe beizutreten? Das war eine Klassenfrage, aber das hätten sie nie zugegeben: Sie wanden
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