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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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interessiert. Sie verkörperten die Quintessenz dessen, was in folgenden Sätzen zum Ausdruck kommt: »Wir verteidigen das Schlimme gegen das noch Schlimmere.« Und:
»Tja, was kann man schon erwarten?«
Das war auch unser Stil, aber sie pflegten ihn viel intensiver. Wenn irgendetwas falsch lief – wenn Ersatzteile für Flugzeugmotoren in das falsche Camp der Royal Air Force geschickt wurden oder ein grober Fehler für eine Lebensmittelknappheit sorgte, wenn eine der Londoner Reden törichter ausfiel als sonst, wenn die Einrichtung der Zweiten Front erneut aufgeschoben wurde –, dann lachten wir, spotteten wir, kicherten wir höhnisch, witzelten wir oder zuckten nur mit den Schultern.
    Ein leichter, beinahe schon toleranter Zynismus war Allgemeingut unter den Angehörigen der Royal Air Force, die alle wussten, dass sie das Schlimme gegen das noch Schlimmere verteidigten. Vielleicht kann kein Land, das sich wie Großbritannien in den dreißiger Jahren durch ein Jahrzehnt solch entsetzlicher Armut – das Ergebnis des Ersten Weltkriegs – geschleppt hat, von seiner Bevölkerung erwarten, dass sie einen neuen vaterländischen Krieg mit ungeteilter Begeisterung willkommen heißt. Diese drei teilten die Stimmung, die unter den Angehörigen der Royal Air Force allgemein herrschte, gaben ihr jedoch einen anderen Akzent: Sie kamen aus Cambridge. Cambridge war die Zuchtstätte der berühmten Spione. Nein, ich behaupte ganz und gar nicht, dass diese drei Spione waren oder welche hätten sein können, aber ihr besonderer Ton oder Stil war damals auf jeden Fall das Produkt dieser Universität. Ihretwegen und wegen anderer Angehöriger der Royal Air Force aus Cambridge prägten wir sogar den Begriff »Cambridge-Stil«. Ihr Zweifel an ihrem eigenen Land – unser Zweifel – war eine Art Gift. Zynismus in dieser Form ist fast immer Ausdruck eines Idealismus, der eine Wende oder einen Verrat erfahren hat.
    Was mich wieder zu der Frage zurückführt: Warum erwarten wir so viel? Warum sind wir bitterlich enttäuscht, wenn wir – unser Land – die Welt – wieder einmal in das nächste Chaos oder in die nächste Katastrophe taumeln? Wer hat uns etwas Besseres versprochen? Wann hat man uns etwas Besseres versprochen? Woher rührt es, dass so viele Menschen unserer Zeit die Gefühlsstürme verratener Kinder durchgemacht haben?
    Wir hätten – wie ich das heute sehe – eigentlich guten Grund gehabt, die Dinge folgendermaßen zu betrachten: Großbritannien, das von schwachen und unfähigen Männern regiert wurde, steckte mit Frankreich unter einer Decke, als es den Sieg von Nazismus und Faschismus in Spanien zuließ und außerdem zuließ, dass Hitler an Macht gewann, obwohl er in
Mein Kampf
schon in aller Offenheit dargelegt hatte, was er erreichen wollte. Churchill, der richtig erkannte, was vor sich ging, wurde verspottet und mit Missachtung gestraft, und als er schließlich die Regierung übernahm, war Großbritannien unbewaffnet und auf einen Krieg nicht vorbereitet. Trotzdem raufte sich Großbritannien zusammen, schlug die Schlacht um England in der Luft und die Atlantikschlacht auf dem Meer, und es bot Hitler die Stirn, als Frankreich zusammenbrach. Parallel dazu, dass es Truppen nach Nordafrika schickte, brachte es auch noch die sicherlich außergewöhnliche technische Großtat zustande, trotz der lauernden U-Boote Hunderttausende, vielleicht Millionen von Männern nach Australien, Kanada, Kenia, Südafrika und Südrhodesien zu verschiffen, um sie dort zu Piloten auszubilden – eine Leistung, die sicherlich ihresgleichen suchte. Und im Mittelmeer kämpften wir in einem Krieg zu Wasser und zu Lande. Darauf hatten wir doch stolz sein dürfen, oder? Hätten wir, wenn unsere Einstellung es zugelassen hätte.
    Es gab ein weiteres Gefühl, das uns lähmte. Es war das Gefühl, dass nichts von alldem hätte zu passieren brauchen, dass alles hätte verhindert werden können. Wenn wir im Kino saßen und zusahen, wie Bomben auf Städte fielen, wenn wir sahen oder darüber lasen, dass Schiffe versenkt und Flugzeuge abgeschossen wurden, dass Panzer explodierten, dann wurde uns schlecht vor Wut, und wir fühlten uns wie gelähmt: angesichts dieser Verschwendung an Ressourcen, an Reichtum. Wenn wir diese Bombenreihen vom Himmel fallen sahen, dachten wir:
Mit dem Geld könnte man ein Krankenhaus bauen und ausstatten.
Oder wenn wir einen Panzer explodieren sahen:
Wieder eine Bibliothek futsch.
Wir hätten die Welt verändern

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