Unter der Haut (German Edition)
worden. Unsere Männer, »die Jungs im Norden«, waren still und leise heimgekehrt, sofern sie noch lebten. Die Gruppe, in der die Fluktuation immer hoch gewesen war, hatte nur noch wenige der ursprünglichen Mitglieder. Dorothy Schwartz war nach Johannesburg gegangen, um für die Kommunistische Partei Südafrikas zu arbeiten. Die Royal Air Force war noch im Land. Unsere Freunde dort waren nicht unbedingt politisch, sondern sehnten sich nach Gesprächen und brauchten Bücher zum Lesen. Damals bereitete ich auf den beiden Kochplatten manchmal eine Abendmahlzeit für fünfzehn bis zwanzig Leute zu, Eier, Speck, Würstchen und Tomaten, große Eintöpfe, geschmorte Hähnchen oder Enten. Gottfried hatte gesagt, dass er kein englisches Essen mehr sehen könne, und eine seiner Freundinnen hatte mich in den Gebrauch von Gewürzen, Kräutern und Knoblauch eingeführt. Einen Vorrat von Castle-Bier und Wein hatten wir immer in der Wohnung. Morgens war immer ziemlich viel aufzuräumen. Wir hatten keinen Bediensteten. Oft übernachteten Leute bei uns auf dem Fußboden oder im Bad: Männer aus den Camps, die den letzten Bus verpasst hatten, oder Freunde, die zu weit außerhalb wohnten. Gottfried sagte dieses Kuddelmuddel, dieser ungezwungene Lebensstil ganz und gar nicht zu. Das war keine Frage des Prinzips, sondern seines Temperaments. Zu jener Zeit war dieses Künstlerleben für mich natürlich. »Was bist du nur für ein Bohemien, meine Liebe.«
»In der Provinz gehört man zur Boheme, wenn man Wein trinkt und keine schwarzen Dienstboten hat.«
Gottfried und ich arbeiteten beide sehr hart. Er stand mehrmals in der Woche morgens um fünf auf, um zu den Tabakauktionen hinauszufahren und dort als Buchhalter zu arbeiten, bis er ins Büro zu Howe-Ely musste. Er bekam bei beiden Stellen den Lohn eines Buchhalters. »Von den Toten soll man nicht schlecht reden.« Ich aber würde noch schlechter von Howe-Ely sprechen, wenn ich glaubte, dass ich damit jemandem nützen könnte. Doch heute, nachdem ich etliche Flüchtlingswellen miterlebt habe, weiß ich, dass Arbeitgeber immer die Möglichkeit ausnutzen, qualifizierte Flüchtlinge mit einem Hungerlohn abzuspeisen und sich dabei noch als Wohltäter vorzukommen.
Gottfried hatte also zwei Arbeitsstellen. Er lernte Russisch. In seiner Freizeit las er über byzantinische Geschichte, von der er fasziniert war, und verbrachte einige Abende in der Woche mit Hans Sen, einem Schweizer. Hans sprach, glaube ich, fünfundzwanzig Sprachen, las und verstand aber noch mehr. Wie Gottfried fühlte er sich in diesem Exil weit entfernt von der Zivilisation. Er war Katholik, Gottfried Kommunist. Als ich im Scherz sagte, dass die beiden Glaubensrichtungen einiges gemeinsam hätten, war Gottfried tagelang eingeschnappt.
Ich hatte das Anwaltsbüro verlassen und verdiente drei- bis viermal so viel, indem ich für Hansard und für Regierungsausschüsse tippte. Ich arbeitete für Mr. Lamb, einen alten Mann, von dem man sich erzählte, dass er aus »Milners Kindergarten« hervorgegangen sei – einer Gruppe junger Männer, die von einem berühmten englischen Liberalen, dessen Ziel es war, im ganzen südlichen Afrika die Zivilisation durchzusetzen, zur Übernahme künftiger Machtpositionen ausgebildet wurden. Er war Stenograf. Nach dem damaligen, durch die heutige Technologie überholten System wechselten sich zwei bis drei Stenografen alle zehn, fünfzehn oder zwanzig Minuten im Parlament ab und diktierten dann den wartenden Typistinnen, so viel sie konnten, bis sie wieder an der Reihe waren. Die Typistinnen mussten schnell sein und Wörter verstehen können, die oft aus nur einem einzigen Buchstaben bestanden.
Diese Arbeit hat mein Tippen für immer ruiniert. Sehr schnell war ich. Ich war die einzige Schreibkraft für drei Regierungsausschüsse: Einstellungsbedingungen für Eingeborene. Das Kariba-Staudamm-Vorhaben. Die Eindämmung der Schlafkrankheit – durch den Abschuss des Wildbestands in einem Gebiet von mehreren Hundert Quadratmeilen. Durch den ersten Ausschuss erfuhr ich, wann die Regierung log, so zum Beispiel bei der Stellungnahme zur Praxis der gewaltsamen Verschleppung von Afrikanern, die aus Njassaland nach Südrhodesien einwanderten und eigentlich auf den Farmen arbeiten wollten, nach Witwatersrand. Im zweiten gingen die Expertenmeinungen heftig auseinander, denn einige behaupteten, es habe keinen Sinn, den Kariba-Staudamm zu bauen, weil sämtliches Wasser durch Erdspalten abfließen und für
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