Unter der Haut (German Edition)
gebissen hat, weil sie nicht genug Milch hatte. Er sagt, gute Brüste haben Milch. Schlechte Brüste haben keine Milch.«
»Wie kann er sich daran erinnern?«, fragte Esther.
»Er war vier. Sie stillen länger als wir.«
»Vier! Na, das finde ich primitiv.«
»Nein, nein, Esther. Ich sage ihm, die Menschen sind primitiv, ob schwarz oder weiß, sie sind alle gleich schlecht. Er sagt, er möchte lieber auf die weiße Art primitiv sein, mit mehr Geld. Er will, dass wir ihm Geld leihen, damit er ein Transportunternehmen gründen kann.«
»Aber wir haben kein Geld.«
»Seiner Meinung nach sind alle Weißen reich. Ich fürchte, er ist außerordentlich ehrgeizig. Er will ein Transportunternehmen haben, das mit Hamish Van Dorens konkurrieren kann.«
»Aber Van Doren sitzt im Parlament.«
»Sein Geld hat er mit einem Transportunternehmen gemacht.«
»Es wird Musa nicht guttun, Van Doren nachzueifern. Das ist doch ein Gauner erster Güte«, sagte Gottfried.
Musa war zu einer Art Prüfstein geworden. Immer wenn wir wissen wollten, was die schwarze Position zu irgendeinem Thema war – wenn man das so ausdrücken darf (und wer weiß, wie das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches aussieht) –, dann baten wir Kurt, Musa zu fragen. Positionen, das heißt, diese Äußerungen waren nicht politisch. Wenn wir etwas über die wirkliche schwarze Position wissen wollten, fragten wir Charles Mzingele. (Charles war entsetzt über Musa – von der neuen Generation insgesamt –, er missbilligte diese anarchische Missachtung ernster Fragen. In Musas Augen war Charles ein sentimentaler alter Narr.) Wir luden Musa zu unseren Diskussionsgruppen ein, aber er wollte nicht kommen. »Baas«, sagte er zu Kurt, »Sie und ich im Busch, das ist in Ordnung, da können uns nur die Ameisen und die Chamäleons sehen, aber wenn ich anfange, in einem großen Gebäude auf der Jameson Avenue ein und aus zu gehen, dann gibt es großen Ärger. Wie viele Gesetze müsste ich dazu brechen?«
»Keines, glaube ich. Vorausgesetzt, Sie wären rechtzeitig zur Ausgangssperre wieder zu Hause.«
»Da gibt es bestimmt ein Gesetz. Es gibt doch für alles Gesetze.«
»Wenn Sie nicht plötzlich eines der Mädchen heiraten wollen«, sagte Kurt in dem Versuch, einen Witz zu machen, »könnte doch niemand etwas dagegen haben?«
»Woher wissen Sie denn, dass ich nicht vielleicht eines von Ihren Mädchen heiraten will, Baas?«
»Oje«, sagte Esther, als Kurt uns von diesem Gespräch berichtete. »Nein, wirklich, das geht zu weit. Ich hoffe, das hast du ihm gesagt.«
»Ich werde ihm deine Meinung übermitteln, Esther. Und dir anschließend berichten, was er gesagt hat.«
»Wenn dieser verfluchte Gauner zu unseren Treffen kommt, braucht ihr mit mir nicht mehr zu rechnen«, sagte Simon.
»Aber, aber, lieber Genosse, erleben wir bei dir hier plötzlich leise Rassenvorurteile? Fragen wir die Weißen, die zu den Treffen kommen, ob sie schon mal Ärger mit der Polizei hatten?«
»Rassenvorurteile, Blödsinn. Wenn der genug Geld zusammenkriegte, um sein Transportunternehmen aufzumachen, wäre er der reinste Blutsauger.«
»Darauf würde er erwidern, dass er nur unserem Beispiel folgt.«
»Meinem Beispiel wird er nicht folgen«, sagte Simon. »Ich werde in Israel sein.«
Kapitel Siebzehn
Den ganzen Krieg über hatte ich immer wieder gesagt, dass ich, wenn er zu Ende wäre, sofort weggehen würde. Was für ein Unsinn. Doch mein Jugendtraum hatte nach wie vor Bestand. Die Wüste Gobi, die Kalahari – vielleicht würde ich mich frei und ungebunden an den Küsten des Mittelmeeres herumtreiben, mich von Wein, Rosen und lauen Nächten berauschen lassen. Als der Krieg zu Ende war und uns nach und nach bewusst wurde, welche furchtbaren Schäden er überall angerichtet hatte, war dieser Traum mit einem Mal ausgeträumt, einfach so – aus, Schluss, basta.
In den Berichten aus Europa, aus Deutschland, aus Russland, ging es einzig und allein um Zerstörung, Elend, Tod, Konzentrationslager, Flüchtlinge und verloren gegangene Kinder. Solche Nachrichten erreichen uns seither immer wieder, jedes Mal aus einem anderen Teil der Welt. Doch damals glaubten alle, die Menschheit würde ein letztes Mal dumm genug sein, solches Leid und solche Verschwendung zuzulassen. Nur einige wenige Menschen ahnten, was sich derzeit zusehends bestätigt: Dass die Menschheit nämlich keine Kontrolle hat über das, was passiert, dass wir dem Geschehen hilflos ausgeliefert sind. Der
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