Unter der Haut (German Edition)
Wahrscheinlich war er der einzige Weiße in der Kolonie, der keinen hatte. Er sagte wahrheitsgemäß, dass er ein schlechter Fahrer sei, weil er nicht in der Lage sei, sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Das Bauamt teilte ihm einen Chauffeur zu. Seinem Pass oder
situpa
zufolge hieß dieser Mann Joshua, aber Kurt bestand darauf, seinen richtigen Namen zu erfahren, nämlich Musaemura, und ihn so anzureden.
Sie verbrachten eine Menge Zeit zusammen auf ihren Fahrten in Salisbury und in die Umgebung der Stadt. Nicht alle diese Fahrten waren notwendig. Die beiden machten häufig für ausgiebige philosophische Diskussionen im Busch halt, wo sie von der Straße nicht zu sehen waren, denn selbstverständlich hätte es sie beide ihre Stelle gekostet, wenn man sie bei dieser aufwieglerischen Tätigkeit entdeckt hätte. Kurt war ohnedies gewarnt worden, dass seine Haltung zu »den Negern« untragbar sei.
»Meiner Ansicht nach ist es eine Beleidigung, Sie Musa zu nennen«, betonte Kurt immer wieder.
»Aber meine Mutter nennt mich Musa. Meine Schwester nennt mich Musa. Und alle meine Freunde auch. Was spricht also dagegen, dass Sie es tun, Baas?«
»Sie sollen mich nicht Baas nennen. Es ist eine Beleidigung. Und ich habe es Ihnen schon so oft erklärt, wenn Leute einen Namen verkürzen oder verfälschen, dann ist das ein Ausdruck eines tiefen Mangels an Respekt.«
»Aber Sie sind mein Boss. Ein weißer Mann. Mlungu. Ihr Name für mich kann also nicht respektvoller sein als der, den meine Mutter mir gibt.«
(Ihr seht also, sagte Kurt dann bei einem Bericht über eines dieser Gespräche, er hat einen angeborenen Sinn für Logik. »Vielleicht solltest du das Charles Olley erzählen. Der wäre auf der Stelle überzeugt.«)
»Und wie nennt Ihr Vater Sie? Es ist auffällig, dass Sie nie von Ihrem Vater sprechen.«
»Ich habe keinen Vater.«
»Aber das ist unmöglich, Musaemura.«
»Wieso unmöglich? Bei uns Kaffern ist es möglich. Wir haben oft keinen Vater. Meine Mutter war die Schwester eines Kochs, der in dem Haus eines Parlamentsabgeordneten arbeitete. Sie lebte illegal in seinem Zimmer hinter dem Haus. Sie bekam ein Kind von einem Freund des Kochs. Ein Ehemann? Das ist zu viel verlangt. Sie hatte einen Platz, an dem sie wohnen konnte. Keine legale Wohnung, aber ein Ehemann
und
ein Platz zum Wohnen, das ist zu viel verlangt im Leben. Für eine Kaffernfrau.«
Musa war etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er war sehr groß, dünn, rastlos, voll Leidenschaft und Energie. Sein Leben war abwechslungsreich, gefährlich, manchmal kriminell gewesen. »Aber das ist doch klar«, sagte Esther. »Man kann kein gutes Benehmen von Leuten erwarten, die schlecht behandelt werden.« Musa war schlau, ein geschickter Mechaniker und im Bauamt gut angesehen. »Er ist kein schlechter Neger«, sagte Kurts Chef etwa. »Aber ich warne Sie, Sie sollten ihn im Auge behalten.«
»Der Mann«, sagte Kurt grübelnd zu uns, »sollte Premierminister sein. Es ist ein Verbrechen, dass er bloß Chauffeur ist. Das sage ich ihm immer wieder.«
»Und was sagt er dazu?«
»Er sagt: ›Baas, Sie wissen, dass ein schwarzer Mann niemals Premierminister werden kann. Wir haben die falsche Kopfform. Wir haben nicht genug Grips im Schädel, um Premierminister zu werden.‹ Er nennt mich Baas. Das macht er, um mich zu ärgern. Ich sage darauf: ›Gut, ich gebe Ihnen das Recht, mich auf diese Weise zu beleidigen. Nicht mich als Individuum, sondern als Vertreter der unterdrückenden Rasse. Sie haben das Recht, unfreundlich zu sein. Ich trete für Ihr Grundrecht auf negative Gefühle und destruktive Regungen ein, die Sie als Angehöriger eines unterdrückten Volkes haben.«
»Treten Sie denn auch für das Recht der Weißen ein, negativ und destruktiv zu sein? Das Gericht hat mich letzte Woche zu zwei Pfund Strafe wegen Trunkenheit verurteilt. Das ist mein halber Monatslohn.«
»Sie betrinken sich, weil Sie frustriert sind«, sagte Kurt.
»Ja, Baas, so ist es.«
»Ich würde Sie zum Premierminister machen. Sie könnten nicht schlimmer sein als das, was wir jetzt haben.«
Unabhängigkeit, ein schwarzer Präsident, ein schwarzer Premierminister, das alles war noch vierunddreißig Jahre entfernt.
»Für die Weißen wäre ich viel schlimmer. Ich wäre schrecklich.«
»Nein, ich glaube, dass Sie eine edle und großmütige Seele sind.«
Sie saßen wie so oft unter einem schattigen Baum im Busch. Kurt bat Esther immer, ihm Thermosflaschen mit Tee und reichlich
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