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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Leben dieser Menschen und dem der Genossen, die zum größten Teil weiß waren und zur Mittelschicht gehörten, lagen Welten.
    Die Kommunistische Partei Südafrikas war zur damaligen Zeit offiziell zugelassen. Sie hatte während des Krieges eine regelrechte Blütezeit erlebt, sodass die Stimmung unter den Mitgliedern 1946 von Hoffnung und Zuversicht geprägt war. Während meines Aufenthaltes in der Stadt wurde gerade eine Wahl durchgeführt – ich glaube, es ging um neue Stadträte –, und die Partei hatte ihre Kandidaten aufgestellt. An den meisten Abenden fanden lautstarke Versammlungen statt, auf denen plötzlich Nationalisten oder diverse Untergruppen der Naziorganisationen, wie zum Beispiel die Ossewa Brandwag, auftauchten, um durch Zwischenrufe zu stören. Jedes Mal kam es zu Kabbeleien und Raufereien. Untrennbar verbunden mit der von Hochstimmung – oder auch extremem Leichtsinn – getragenen Atmosphäre war eine heitere Selbstparodie, die in Redewendungen zum Ausdruck kam wie: »Nach der Revolution …« oder: »Wir sehen uns auf den Barrikaden.« Ich hatte damals viel zu wenig Erfahrung, um das zu verstehen, doch ich habe in der Zwischenzeit gelernt, dass diese Atmosphäre für »revolutionäre« Gruppen innerhalb einer Demokratie charakteristisch ist. Sie befinden sich in keiner direkten Gefahr und finden Vergnügen daran, der Obrigkeit eins auszuwischen. Keine revolutionäre Gruppe innerhalb eines repressiven oder brutalen Regimes kann sich eine solche Hochstimmung, einen solchen Rausch leisten. Sie können einem nachsichtigen Übervater nicht einfach eine Nase drehen, sondern müssen Folter und Tod fürchten. Als die Kommunistische Partei Südafrikas drei Jahre später verboten wurde, verflog die Ausgelassenheit der privilegierten Kinder, denen man freien Lauf ließ, über Nacht, die Leute, die auf dieser Welle mitgeritten waren, zogen sich zurück, und für diejenigen, die sich dann noch öffentlich zu ihrer Überzeugung bekannten, folgte eine harte Zeit.
    Die »revolutionären« Gruppen in den Vereinigten Staaten waren in den siebziger Jahren von dieser »Ich dreh dir eine Nase und steck auch noch die Zunge raus«-Mentalität durchdrungen. (Ich habe durch Zufall erfahren, was da alles ablief.) Zum Beispiel holte sich eine junge Frau, die auf der ganzen Welt als gefährliche Terroristin bekannt war, ihren Nervenkitzel dadurch, dass sie fast genau gegenüber von einem New Yorker Polizeirevier wohnte. »Ihr erkennt mich nicht einmal, obwohl mein Gesicht auf euren Plakaten ist.« Eine andere, die wie Patty Hearst aussah, fuhr auf Autobahnen immer zu schnell, sodass sie von der Polizei angehalten wurde und die Polizisten dann sagten: »Sie sind ja Patty Hearst.« Ach, was für ein Spaß, was für ein Kick.
    In Kapstadt benahmen sich die Kommunisten 1946 so, als gäbe es kein Morgen. In einem ihrer Büros entdeckte ich in einem Schrank eine Akte mit der Aufschrift »Kommunistische Partei Südrhodesiens«. Doch die war ja längst tot und begraben. Ich erklärte den hocherfreuten Genossen, dass es die Kommunistische Partei Südrhodesiens schon längst nicht mehr gebe. Sie hätten von Anfang an recht gehabt: Es sei keine Basis für eine solche Partei vorhanden, und es sei bedauerlich, dass wir nicht auf sie gehört hätten. Ich erwähnte auch, dass es töricht sei, die Namen von »geheimen« Mitgliedern der Kommunistischen Partei Südafrikas in Akten aufzubewahren, in die jeder Einsicht nehmen könne, wenn er nur eine Schublade aufzöge. Sie erklärten fröhlich, das sei ganz egal, weil ohnehin alle wüssten, dass sich unter ihnen auch Spitzel befänden. Ich wurde unter den Genossen als Musterbeispiel für Paranoia gehandelt: »Unsere kleine Nachbarin aus dem Norden« zeigte genau die Rückständigkeit, die man von der Einwohnerin einer britischen Kolonie erwartete. Es war für mich ganz heilsam, einmal von Salisbury, wo ich der Hecht im Karpfenteich war, nach Kapstadt zu gehen, wo ich ein Nichts unter großen, schillernden Fischen war – die man in London wohl als reichlich kleine Fischlein empfunden hätte.
    Die Erfahrung, der wir vielleicht zu wenig Beachtung schenken, zeigt, dass auch ein noch so kleines, von außen kommendes Fischlein einen nützlichen Beitrag zur gegebenen Situation leisten kann, und zwar weil es nicht auf die ohnehin vorherrschende Meinung eingestimmt ist. Es ist nämlich unmöglich, sich nicht von der Denkungsart einer Gruppe oder einer Partei prägen zu lassen.
    Ich war kaum

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