Unter der Haut (German Edition)
Manchmal entwickeln politikbewusste Menschen ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten. Eine solche amerikafeindliche Äußerung hörte sich damals verrückt an. Aber warum machte er sie? Worauf gründete er sie? Es war eine Position, die von den Linken zusehends angenommen wurde, aber darum geht es mir an dieser Stelle weniger. Entscheidend für mich ist vielmehr die Tatsache, dass uns diese Äußerung 1945 noch sehr in Erstaunen versetzte.
Der Kalte Krieg lauerte hinter den Kulissen und wartete auf seinen Auftritt.
Damals, zu Beginn der Schwangerschaft, sehnte ich mich sehr nach einem Tapetenwechsel, bevor ich vierundzwanzig Stunden am Tag den Bedürfnissen eines kleinen Kindes unterworfen sein würde. Es war ja nicht so, dass ich nicht wusste, was es bedeutete, ein Kind zu bekommen. Es zog mich fort, ich sehnte mich danach, aus Salisbury wegzukommen, hinaus in die weite Welt, vor allem auch, weil die Royal-Air-Force-Leute bald alle verschwunden sein würden – in Wirklichkeit sollte es dann noch sehr viel länger dauern, weil die Schiffe fehlten, mit denen man sie nach Hause bringen konnte. Mein Problem war, dass ich mir der Widersprüchlichkeit meines derzeitigen Lebens deutlich bewusst war. Ich hatte mich entschlossen, ein Kind zu bekommen, wo ich doch zum ersten Mal in meinem Leben die Freiheit gehabt hätte, zu tun und zu lassen, wozu ich Lust hatte.
Heute mache ich mir Gedanken über eine bestimmte Geisteshaltung, vor allem bei jungen Menschen: Ich habe nie auch nur einen Moment lang daran gezweifelt, dass ich in der Lage sein würde, mich nicht nur einfach so durchzuwursteln, sondern mit allen äußeren Umständen, mit denen ich konfrontiert werden, oder mit allen Hindernissen, die sich mir in den Weg stellen würden, gut fertig zu werden. Davon zeugte die ruhige Beharrlichkeit, ja sogar Hochstimmung, mit der ich über meine mögliche Zukunft nachdachte. Ich halte das in keiner Weise für selbstverständlich. Wie kommt es, dass sich eine junge Frau oder ein junger Mann von etwas ziemlich Belanglosem vollkommen aus der Bahn werfen lässt – und sich manchmal ein Leben lang nicht wieder davon erholt –, während jemand anderes ohne den geringsten Anflug von Selbstzweifeln ganze Berge versetzt?
Gottfried unterstützte mich in meinem Wunsch, Urlaub zu machen. Er war immer ein großzügiger Mensch. So kaufte er mir zum Beispiel zu der Zeit, als er nur das dürftige Gehalt von Howe-Ely bekam, eine neue Schreibmaschine. Er ermutigte mich zum Schreiben, obwohl ihm das, was ich schrieb, nie gefiel. Auch zu meiner Reise nach Kapstadt steuerte er etwas bei.
Erneut die Fünftagesreise mit dem Zug. Ich saß mit fünf anderen Leuten in einem Abteil, kann mich aber nicht an sie erinnern, weil ich immer nur aus dem Fenster schaute. Die Karru-Steppe und die Berge des Hex River Valley zogen an uns vorbei, und ich versuchte, mir Bild auf Bild von der großartigen, für Südafrika so typischen Ödnis und Einsamkeit einzuprägen. Ich hielt Ausschau nach den kleinen Bahnstationen entlang der Gleise, wo die Frauen und Kinder der Vorarbeiter an die Drahtzäune ihrer vertrockneten, kargen kleinen Gärten liefen und winkten, während der Zug kreischend in Richtung der großen Stadt unten im Süden weiterfuhr. Mir war klar, was diese Kinder, diese Frauen, diese Mädchen mit den Erwachsenenkleidern und den für eine andere Welt dauergewellten Haaren dachten und fühlten, während der Zug ihren Blicken entschwand. Während des ganzen Krieges hatte ich die Abschiedsrufe und das Kreischen der Eisenbahn gehört, wenn sie Salisbury verließ und Menschen mit sich fortnahm und sie weit,
weit
weg brachte. Für eine ganze Generation im südlichen Afrika bedeuteten die traurigen Klagelaute eines Zuges Verlust, Abschied und Zurückgelassenwerden. Eines kann ich Ihnen sagen: Das Donnern eines Düsenflugzeugs ist im Vergleich dazu nichts.
Die Hafenanlagen von Kapstadt und die vor Anker liegenden Schiffe ließen einen nicht länger an Unterseeboote, Torpedos und Geleitzüge denken, sondern an Freiheit und Entkommen. Und ich war im dritten Monat schwanger.
Die Zeitungsleute vom
Guardian
hatten mir mitgeteilt, dass ihre so überaus erfolgreiche Repräsentantin aus Salisbury natürlich für ein paar Wochen bei ihnen in Kapstadt arbeiten könne. Der
Guardian
war kurz vor dem Krieg von zwei tüchtigen Engländerinnen der Mittelschicht gegründet worden, die sich – wie so viele in den dreißiger Jahren – zum Kommunismus hingezogen gefühlt
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